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Schuldanerkenntnis der Haftpflichtversicherung nach Unfall: Gutachterkosten ersetzt?

Die Haftpflichtversicherung kündigte dem Unfallgeschädigten die Zahlung von 5.500 Euro nach einem Verkehrsunfall detailliert an, doch der Streit um die Kosten eskalierte trotzdem. Das Gericht bewertete diese Zusage als bindendes Schuldanerkenntnis, trotzdem musste die Versicherung die vollen Sachverständigenkosten nicht tragen.

Übersicht

Zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 15/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Schleswig‑Holsteinisches Oberlandesgericht
  • Datum: 07.06.2023
  • Aktenzeichen: 7 U 15/23
  • Verfahren: Hinweis im Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Haftungsrecht, Versicherungsrecht, Schadensersatzrecht

  • Das Problem: Nach einem Verkehrsunfall überwies die Haftpflichtversicherung einen Betrag und listete die anerkannten Schadenspositionen auf. Die geschädigte Person argumentierte, dieses Schreiben sei eine rechtsverbindliche, vollständige Anerkennung der Schuld. Die Versicherung bestritt dies und sah es nur als unverbindliche Teilzahlung an.
  • Die Rechtsfrage: Gilt eine detaillierte Mitteilung der Versicherung über die Zahlung spezifischer Schadenspositionen als vollständiges, rechtsverbindliches Schuldanerkenntnis, auch wenn der Begriff „Anerkenntnis“ nicht ausdrücklich genannt wird?
  • Die Antwort: Ja. Das Gericht stufte das Schreiben als rechtsverbindliche Schuldanerkenntnis ein. Der konkrete Inhalt des Schreibens und die Ankündigung der Überweisung zeigen den Willen der Versicherung, die Diskussion über die Haftung abzuschließen.
  • Die Bedeutung: Wenn eine Versicherung nach vorheriger Korrespondenz konkrete Schadensposten beziffert und deren Überweisung ankündigt, schafft dies Rechtssicherheit für den Geschädigten. Zudem dürfen Gerichte zur Berechnung von Sachverständigenkosten die BVSK-Honorartabelle als zuverlässige Schätzgrundlage heranziehen.

Schuldanerkenntnis: Wann bindet ein Brief die Versicherung?

Ein Brief, eine Zahlungsankündigung, ein handfester Streit. Kann eine formlose Mitteilung einer Versicherung, in der sie einzelne Schadensposten auflistet und eine Überweisung ankündigt, ein rechtlich bindendes Schuldanerkenntnis sein? Mit dieser Frage musste sich das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in einem Hinweisbeschluss vom 07. Juni 2023 (Az.: 7 U 15/23) befassen. Der Fall beleuchtet einen kritischen Moment in der Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall: den Punkt, an dem aus einer unverbindlichen Prüfung eine unumkehrbare Zusage wird – selbst wenn das entscheidende Wort „Anerkenntnis“ fehlt. Parallel dazu zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Braunschweig, wie detailliert der Kampf um die Höhe der erstattungsfähigen Kosten, insbesondere für Sachverständige, geführt wird.

Warum führte eine Zahlungsankündigung zum Rechtsstreit?

Die Hand einer Sachbearbeiterin klickt auf „Senden“ über einer penibel untergliederten Liste der regulierten Schadenspositionen.
Versicherungsschreiben kann bindendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis darstellen. | Symbolbild: KI

Die Geschichte beginnt mit einem gewöhnlichen Verkehrsunfall am 12. Juli 2018. Die Geschädigte meldete den Schaden bereits am folgenden Tag, dem 13. Juli 2018, bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung. Danach geschah für eineinhalb Jahre nach außen hin wenig. Erst am 28. Februar 2020 machte die Geschädigte ihre Ansprüche konkret geltend. Per E-Mail übersandte sie der Versicherung eine genaue Bezifferung ihres Schadens, untermauert durch ein Gutachten vom 29. Juli 2018 sowie die zugehörigen Sachverständigen- und Reparaturrechnungen.

Die Reaktion der Versicherung kam prompt und sollte zum Kern des Rechtsstreits werden. Mit einem Schreiben vom 18. März 2020 teilte sie mit: „wir haben …..auf ihr Konto….überwiesen“. Dem folgte eine detaillierte Aufstellung. Einzelne Schadenspositionen wie Reparaturkosten, Sachverständigengebühren und eine Auslagenpauschale wurden mit exakten Beträgen aufgelistet und zu einer Gesamtsumme addiert. Für die Geschädigte und ihren Anwalt war die Sache klar: Die Versicherung hatte die Haftung dem Grunde nach zu 100 % anerkannt und den Streit damit beendet. Doch die Versicherung sah das später anders und vertrat im Gerichtsverfahren die Ansicht, das Schreiben sei lediglich eine unverbindliche Mitteilung über eine Teilzahlung gewesen, ohne jeglichen Willen, sich rechtlich zu binden. Damit war der Weg zum Gericht unausweichlich.

Was ist ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis?

Um die Entscheidung des Gerichts zu verstehen, muss man ein zentrales juristisches Konzept kennen: das deklaratorische Schuldanerkenntnis. Im Gegensatz zu einem konstitutiven Anerkenntnis, das eine völlig neue, eigenständige Verpflichtung schafft, bestätigt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis lediglich das Bestehen einer bereits existierenden Schuld. Sein Zweck ist es, einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis zu beenden. Es funktioniert wie ein juristischer Schlussstrich. Die Parteien einigen sich darauf, bestimmte Einwände gegen die Forderung zukünftig nicht mehr zu erheben. Ein solches Anerkenntnis muss nicht ausdrücklich als solches bezeichnet werden. Es kann sich aus den Umständen und dem Inhalt einer Erklärung ergeben, wenn der Empfänger darauf vertrauen darf, dass der Schuldner die Forderung nicht mehr bestreiten wird.

Genau hier lag der Knackpunkt im Fall vor dem Oberlandesgericht: War das Schreiben der Versicherung vom 18. März 2020 ein solch rechtlich bindender Schlussstrich oder nur eine unverbindliche Wasserstandsmeldung?

Warum das OLG den Brief als verbindlich ansah

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht kam in seinem richterlichen Hinweis nach § 139 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu einer klaren Einschätzung. Ein solcher Hinweis ist ein prozessuales Instrument, mit dem das Gericht den Parteien seine vorläufige Rechtsauffassung mitteilt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Position zu überdenken und den Rechtsstreit möglicherweise kostengünstig zu beenden. Die Analyse des Senats war eine Lektion in der Auslegung von Willenserklärungen im Geschäftsverkehr.

Die entscheidende Frage: Nur eine Mitteilung oder ein Vertrag?

Das Gericht musste klären, welchen rechtlichen Gehalt das Schreiben der Versicherung vom 18. März 2020 hatte. Handelte es sich um eine reine Information über eine bevorstehende Zahlung, die keinerlei Bindungswirkung entfaltet? Oder lag hier ein Vertrag vor, durch den die Versicherung verbindlich erklärte, die Haftung dem Grunde nach zu übernehmen und auf zukünftige Einwände zu verzichten?

Der objektive Empfängerhorizont als Maßstab

Für die Richter war nicht entscheidend, was die Versicherung sich intern bei der Abfassung des Schreibens gedacht haben mag. Maßgeblich ist im deutschen Recht der sogenannte objektive Empfängerhorizont. Das bedeutet, eine Erklärung ist so auszulegen, wie sie ein vernünftiger Empfänger in der konkreten Situation verstehen musste und durfte. Das Gericht versetzte sich also in die Lage der Geschädigten und ihres Anwalts. Diese hatten nach langem Warten eine detaillierte Forderung gestellt und Belege eingereicht. Die Antwort der Versicherung, die eben diese Forderungen Posten für Posten auflistet, Beträge zuordnet und eine Überweisung der Gesamtsumme ankündigt, konnte aus dieser Perspektive nur als abschließende Regulierungszusage verstanden werden.

Die Zäsur-Funktion: Der Streit sollte enden

Den Ausschlag gab für das Gericht der erkennbare Zweck des Schreibens. In der Schadensregulierung dienen solche Mitteilungen dazu, eine Zäsur zu schaffen. Sie sollen verhindern, dass bereits geprüfte und für erledigt erklärte Positionen immer wieder neu zur Debatte stehen. Das Gericht argumentierte, dass die detaillierte Abrechnung der einzelnen Posten unmissverständlich signalisierte: Die Prüfung ist abgeschlossen, die Haftungsfrage geklärt, die Zahlung folgt. Dieser erkennbare Wille, die Sache „vom Tisch zu bekommen“, begründet den Rechtsbindungswillen. Das Gericht stützte sich dabei auch auf eine frühere Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 15.08.2008, Az.: 19 U 153/08), das in einem ähnlichen Fall ebenso entschieden hatte.

Das Argument des fehlenden Wortes „Anerkenntnis“

Die Versicherung hatte argumentiert, das Schreiben könne kein Anerkenntnis sein, da der Begriff selbst nicht verwendet wurde. Dieses Argument ließ der Senat nicht gelten. Für ein Deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist keine bestimmte Formel erforderlich. Entscheidend ist allein der aus den Umständen erkennbare Wille, den Streit zu beenden und Rechtssicherheit zu schaffen. Die konkrete Auflistung der Beträge und die Ankündigung der Überweisung waren nach Ansicht des Gerichts ein viel stärkeres Indiz für einen Rechtsbindungswillen als das Fehlen eines bestimmten juristischen Fachbegriffs.

Der richterliche Hinweis als Marschroute

Das Gericht verurteilte die Versicherung nicht direkt, sondern gab ihr mit dem Hinweis unmissverständlich zu verstehen, wie ein Urteil ausfallen würde. Es legte der Versicherung nahe, den Schaden auf Basis einer Quote von 100 % zu regulieren, um den Rechtsstreit kostengünstig zu beenden. Den Parteien wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum 29. Juni 2023 gesetzt – eine klare Aufforderung, sich auf Basis der gerichtlichen Einschätzung zu einigen.

Wie werden Sachverständigenkosten konkret berechnet?

Selbst wenn die Haftung dem Grunde nach feststeht, beginnt oft der nächste Streit: der um die Höhe des Schadens. Ein Paradebeispiel hierfür sind die Kosten für ein Sachverständigengutachten. Ein Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 20. April 2023 (Az.: 118 C 1829/22) zeigt exemplarisch, wie Gerichte hier vorgehen und welche Posten erstattungsfähig sind – und welche nicht. In diesem Fall klagte ein Sachverständigenbüro, an das der Geschädigte seine Ansprüche abgetreten hatte, gegen eine Versicherung auf Zahlung restlicher Gutachterkosten in Höhe von 342,64 Euro.

Die Rechtsgrundlage für die Erstattung ist § 249 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Demnach sind die Kosten erstattungsfähig, die zur Feststellung und Beseitigung des Schadens „erforderlich“ sind. Was „erforderlich“ ist, unterliegt dem Wirtschaftlichkeitsgebot: Der Geschädigte muss im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg wählen. Er muss zwar nicht den billigsten Anbieter auf dem Markt suchen, trägt aber das Risiko, wenn er einen erkennbar überteuerten Sachverständigen beauftragt.

Warum die BVSK-Tabelle den Ausschlag gab

Das Amtsgericht Braunschweig stand vor der Aufgabe, die Angemessenheit der vom Sachverständigen in Rechnung gestellten Kosten zu prüfen. Da eine exakte Berechnung oft schwierig ist, greifen Gerichte hier auf ein bewährtes Werkzeug zurück: die Schätzung gemäß § 287 ZPO.

Das Wirtschaftlichkeitsgebot als Leitplanke

Das Gericht stellte klar, dass der Geschädigte nicht zu einer umfassenden Marktforschung verpflichtet ist, um den günstigsten Gutachter zu finden. Die Erforderlichkeit der Kosten bemisst sich danach, was ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.

Die Schätzung nach § 287 ZPO als Werkzeug

Als Grundlage für seine Schätzung zog das Gericht die Honorartabelle des Bundesverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) für das Jahr 2020 heran. Die Versicherung hatte eingewandt, diese Tabelle sei nicht anwendbar, da der Gutachter kein BVSK-Mitglied sei. Das Gericht wies dies zurück: Die BVSK-Tabelle gilt als bundesweit repräsentativer Querschnitt der üblichen Vergütungen und kann daher als verlässliche Schätzungsgrundlage für jeden Sachverständigen herangezogen werden.

Die Detailprüfung: Fotos, Schreibkosten und Pauschalen

Das Gericht zerlegte die Rechnung des Gutachters in ihre Einzelteile und prüfte jeden Posten akribisch. Das Grundhonorar von 580,00 Euro befand es als angemessen, da es innerhalb des von der BVSK-Tabelle für eine Schadenshöhe bis 3.500 Euro vorgegebenen Korridors lag. Auch bei den Nebenkosten folgte eine genaue Prüfung:

  • Fotokosten: Die Versicherung hielt einige der 17 Fotos für überflüssig. Das Gericht widersprach und billigte 2,00 Euro pro Foto, da sie alle der Dokumentation von Fahrzeugidentität, Zustand oder unterschiedlichen Blickwinkeln dienten.
  • Schreibkosten: Hier gab das Gericht der Versicherung teilweise recht. Kosten für Seiten, die nur Fotos oder standardisierte Kalkulationsausdrucke enthalten, sind nicht erstattungsfähig. Erstattungsfähig sind nur Seiten mit eigenem, formulierten Text des Gutachters. Das Gericht schätzte hierfür 1,80 Euro pro Seite und bewilligte 18,00 Euro für 10 Textseiten statt der geforderten 25,00 Euro für 17 Seiten.
  • Pauschalen und Fahrtkosten: Eine Porto- und Telefonpauschale von 15,00 Euro sowie Fahrtkosten von 17,50 Euro für eine Strecke von 19 Kilometern wurden als angemessen erachtet.

Nach Abzug der bereits gezahlten 448,12 Euro verurteilte das Gericht die Versicherung zur Zahlung des Restbetrags von genau 342,64 Euro zuzüglich Zinsen.

Was bedeuten die Urteile für die Schadensregulierung?

Die beiden Entscheidungen zeichnen ein klares Bild der aktuellen Rechtslage. Der Hinweis des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts festigt den Grundsatz: Versicherer müssen bei ihrer Korrespondenz größte Sorgfalt walten lassen. Eine detaillierte Aufstellung von Schadenspositionen mit Zahlungsankündigung wird von den Gerichten im Zweifel als verbindliches Schuldanerkenntnis gewertet, das den Streit über die Haftung dem Grunde nach beendet. Der Zweck, Rechtssicherheit zu schaffen, wiegt hier schwerer als das Fehlen formaler Begriffe.

Das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig wiederum zeigt die Konsequenz daraus für die Praxis: Selbst wenn die Haftung unstrittig ist, wird um jeden Euro der Schadenshöhe gerungen. Gerichte prüfen die Rechnungen von Sachverständigen detailliert auf ihre Erforderlichkeit und Angemessenheit. Dabei dienen anerkannte Honorartabellen wie die des BVSK als maßgebliche, aber nicht unantastbare Richtschnur für eine richterliche Schätzung. Für Geschädigte und Sachverständige bedeutet dies, dass ihre Forderungen zwar grundsätzlich berechtigt sind, aber einer strengen Plausibilitätskontrolle unterliegen.

Die Urteilslogik

Die Regulierung eines Schadens wird für den Versicherer rechtlich bindend, sobald der Geschädigte die Erklärung objektiv als abschließende Einigung verstehen darf.

  • Rechtsbindung durch Detaillierung: Eine Versicherungsgesellschaft begründet einen Rechtsbindungswillen bereits durch die detaillierte Auflistung einzelner Schadenspositionen und die Ankündigung einer Gesamtzahlung, selbst wenn das Wort „Anerkenntnis“ in der Mitteilung fehlt.
  • Angemessenheit der Gutachterkosten: Gerichte bestimmen die Erforderlichkeit und Angemessenheit von Sachverständigenhonoraren in der Regel durch Schätzung und ziehen dabei die branchenweit akzeptierte BVSK-Tabelle als verlässliche Richtschnur heran.
  • Wirtschaftlichkeitsgebot für Nebenkosten: Die Erstattung von Nebenkosten, wie etwa Foto- oder Schreibkosten, unterliegt einer strengen Plausibilitätskontrolle und setzt voraus, dass jeder einzelne Posten zur zweckmäßigen Feststellung des Schadens erforderlich war.

Die Justiz legt damit fest, dass bei der Schadensregulierung der äußere Anschein der Kommunikation für die Bindungswirkung entscheidet und gleichzeitig das Wirtschaftlichkeitsgebot bei allen geltend gemachten Kosten strikt einzuhalten ist.


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Experten Kommentar

Wie oft erleben wir es, dass Versicherer eine Zahlung ankündigen, aber das entscheidende Wort „Schuldanerkenntnis“ bewusst weglassen, um sich alle Hintertüren offen zu halten? Das OLG Schleswig-Holstein zieht hier eine klare, rote Linie: Entscheidend ist nicht der fehlende Begriff, sondern der objektive Wille, den Streit zu beenden. Sobald eine detaillierte Abrechnung der Schadenspositionen mit konkreter Zahlungsankündigung verschickt wird, muss sich der Versicherer daran festhalten lassen. Für Geschädigte bedeutet das: Die detaillierte Aufstellung einer Teilzahlung ist der juristische Anker, der die Haftungsfrage verbindlich klärt und eine spätere Diskussion über den Grundsatz verhindert.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Gilt eine detaillierte Zahlungsankündigung der Versicherung als bindendes Schuldanerkenntnis?

Ja, eine detaillierte Zahlungsankündigung der Versicherung gilt oft als bindendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Maßgeblich ist hierbei nicht die interne Absicht des Versicherers, sondern der sogenannte objektive Empfängerhorizont. Ein solches Schreiben, das auf eine konkrete Forderung folgt und Posten auflistet, signalisiert dem Geschädigten, dass die Haftung dem Grunde nach geklärt ist.

Gerichte legen Wert darauf, wie ein vernünftiger Geschädigter die Mitteilung verstehen musste und durfte. Wenn die Versicherung die Schadenspositionen exakt aufschlüsselt und eine Überweisung ankündigt, dürfen Empfänger von einer abschließenden Regulierungszusage ausgehen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein (Az.: 7 U 15/23) bekräftigte, dass das Fehlen des Wortes „Anerkenntnis“ die Verbindlichkeit nicht aufhebt.

Entscheidend ist die sogenannte Zäsur-Funktion der Abrechnung. Durch die detaillierte Aufschlüsselung der Beträge signalisiert die Versicherung ihren erkennbaren Willen, den Streit beenden und Rechtssicherheit schaffen zu wollen. Sie zieht damit juristisch einen Schlussstrich unter die Haftungsfrage. Nachträgliche Einwände gegen den Grund der Forderung sind nach einem solchen Anerkenntnis ausgeschlossen.

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Welche rechtliche Wirkung hat das deklaratorische Schuldanerkenntnis auf meinen Unfallschaden und weitere Ansprüche?

Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist ein entscheidender Schritt im Regulierungsverfahren. Es wirkt wie ein juristischer Schlussstrich, der die Haftung dem Grunde nach endgültig klärt. Die Versicherung bestätigt damit, dass sie zu 100 Prozent für den Unfall verantwortlich ist. Dieser Rechtsakt beseitigt die Ungewissheit und schafft eine gesicherte Grundlage für alle weiteren Schadenspositionen.

Der zentrale Effekt des Anerkenntnisses ist die sogenannte Zäsur-Funktion. Die Versicherung verpflichtet sich unwiderruflich, keine Einwände mehr gegen die Unfallursache oder eine mögliche Mitschuld zu erheben. Alle Verteidigungsmittel, die zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits existierten – beispielsweise der Einwand der Verjährung oder fehlende Kausalität – sind ausgeschlossen. Dies macht die Durchsetzung Ihrer Forderungen wesentlich einfacher und sicherer.

Wichtig ist jedoch die Unterscheidung: Das Anerkenntnis sichert die Haftung dem Grunde nach, aber nicht zwingend die Schadenshöhe. Die Versicherung akzeptiert damit nicht automatisch jeden einzelnen Posten in voller Höhe. Sie kann weiterhin die Erforderlichkeit von Gutachterkosten, fiktiven Reparaturkosten oder Mietwagenpreisen bestreiten. Sie müssen daher die Angemessenheit jedes geforderten Betrags weiterhin belegen.

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Wie wehre ich mich gegen die Kürzung meiner Sachverständigenkosten durch die gegnerische Versicherung?

Wenn die gegnerische Versicherung die Gutachterkosten kürzt, wehren Sie sich mit dem Argument, dass die in Rechnung gestellten Kosten nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot „erforderlich“ waren. Sie sind nicht verpflichtet, den billigsten Anbieter zu suchen, müssen aber vermeiden, einen erkennbar überteuerten Sachverständigen zu beauftragen. Verweisen Sie auf die BVSK-Tabelle, welche Gerichte als bundesweit repräsentative Schätzungsgrundlage gemäß § 287 ZPO heranziehen.

Die Regel besagt, dass ein Geschädigter im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg zur Schadensfeststellung wählen muss. Um die Angemessenheit zu beurteilen, prüfen Richter das Grundhonorar anhand von Vergleichswerten. Die BVSK-Tabelle dient als anerkannter Korridor für Sachverständigenhonorare und kann auch für Gutachter herangezogen werden, die kein Mitglied des Verbandes sind, da sie einen verlässlichen Querschnitt der Marktpreise liefert.

Gerichte nehmen bei der Prüfung von Sachverständigenrechnungen eine detaillierte Zerlegung der Nebenkosten vor. Das Amtsgericht Braunschweig entschied, dass vor allem Schreibkosten oft nur teilweise erstattungsfähig sind. Nur die Seiten, die tatsächlich formulierten Text des Gutachters enthalten (typischerweise etwa 1,80 Euro pro Seite), müssen bezahlt werden. Seiten, die lediglich standardisierte Kalkulationsausdrucke oder reine Fotos darstellen, sind von der Erstattung ausgeschlossen.

Fordern Sie Ihren Sachverständigen auf, die Rechnung im Detail so aufzuschlüsseln, dass die Abgrenzung zu nicht erstattungsfähigen Kalkulationsausdrucken klar ersichtlich wird.


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Was tun, wenn die Versicherung ihre detaillierte Zahlungszusage nachträglich als unverbindlich bezeichnet?

Wenn die Versicherung versucht, eine detaillierte Zahlungszusage nachträglich als unverbindlich darzustellen, widersprechen Sie sofort mit juristischen Argumenten. Sie müssen beweisen, dass diese anfängliche Zusage nicht zurückgenommen werden kann. Entscheidend ist der objektive Empfängerhorizont: Die interne Absicht der Versicherung spielt keine Rolle. Die detaillierte Aufstellung der Positionen musste von Ihnen als abschließender Vertrag zur Beendigung des Streits verstanden werden.

Gerichte legen Wert auf die sogenannte Zäsur-Funktion solcher Mitteilungen. Die Intention hinter der detaillierten Zahlung ist es, einen Schlussstrich zu ziehen und die Haftungsfrage nicht erneut zu debattieren. Die Argumentation des OLG Schleswig-Holstein stützt diesen Standpunkt klar: Ein Geschädigter oder dessen Anwalt durfte eine detaillierte Abrechnung im Kontext der laufenden Regulierung nur als verbindliche Regulierungszusage deuten.

Dokumentieren Sie unbedingt, dass das Schreiben der Versicherung eine direkte und detaillierte Reaktion auf Ihre bereits bezifferte Forderung war. Dieser Kontext macht die Behauptung der Unverbindlichkeit unglaubwürdig. Liegt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis vor, ist die Haftung dem Grunde nach zu 100 Prozent gesichert und die Versicherung kann keine Einwände mehr erheben.

Lassen Sie Ihren Anwalt der Versicherung unter Fristsetzung mitteilen, dass das Schreiben als bindendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis gilt und jegliche Einwände gegen die Haftung zurückgewiesen werden.


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Nach welchen Kriterien und Tabellen (BVSK) wird die Angemessenheit der Gutachterkosten vor Gericht geprüft?

Gerichte bewerten die Angemessenheit von Gutachterkosten im Rahmen der richterlichen Schätzung nach § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO). Da es keine feste Gebührenordnung für Sachverständige gibt, ziehen Richter anerkannte Branchenstandards heran. Hierbei dient die Honorartabelle des BVSK (Bundesverband der Sachverständigen) als zentraler Leitfaden. Diese bildet einen repräsentativen Querschnitt der regional üblichen Vergütungen ab.

Die Regel: Geschädigte müssen das sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot beachten. Das bedeutet, Sie sind nicht verpflichtet, den billigsten Anbieter zu suchen, dürfen aber auch keinen Sachverständigen beauftragen, dessen Kosten erkennbar überteuert sind. Das Gericht prüft, ob das Grundhonorar innerhalb des von der BVSK-Tabelle für die entsprechende Schadenshöhe definierten Korridors liegt. Fällt das Honorar in diesen Rahmen, wird es in der Regel als angemessen und zur Schadensfeststellung „erforderlich“ erachtet, auch wenn der Gutachter kein BVSK-Mitglied ist.

Gerichte prüfen die Rechnungen sehr detailliert, insbesondere die Nebenkostenpositionen. Während die Kosten für die Schadensdokumentation (z.B. 2,00 Euro pro Foto) meist unproblematisch sind, erfolgen Kürzungen oft bei den Schreibkosten. Konkret: Nur Seiten, die tatsächlich eigenen, formulierten Gutachtertext enthalten, sind erstattungsfähig. Standardisierte Kalkulationsausdrucke oder reine Bildseiten werden hingegen nicht erstattet.

Verlangen Sie bei der Beauftragung eine Bestätigung, dass die kalkulierten Kosten im oder unterhalb des mittleren Korridors der aktuellen BVSK-Honorartabelle liegen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Deklaratorisches Schuldanerkenntnis

Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist die verbindliche Bestätigung einer bereits existierenden Schuld, um einen Streit über deren Grundlage oder Existenz zu beenden. Das Gesetz nutzt dieses Instrument, um Rechtssicherheit zu schaffen, indem es verhindert, dass der Schuldner nachträglich Einwände gegen die Haftung dem Grunde nach erhebt.
Beispiel:
Der Senat des OLG Schleswig-Holstein sah das detaillierte Schreiben der Versicherung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis an, da es die bereits geltend gemachten Schadensposten im Detail anerkannte.

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Konstitutives Schuldanerkenntnis

Das konstitutive Schuldanerkenntnis begründet im Gegensatz zur deklaratorischen Form eine völlig neue, eigenständige Schuldverpflichtung, die von der ursprünglichen Forderung unabhängig ist. Dieses Anerkenntnis dient dazu, eine ungewisse oder streitige Rechtslage komplett neu zu gestalten und dem Gläubiger einen einfacheren Rechtsgrund für die Klage zu verschaffen.
Beispiel:
Hätte die Versicherung ein konstitutives Schuldanerkenntnis abgegeben, wäre die gesamte bisherige Unfallgeschichte für die Rechtsgrundlage der nun vereinbarten Forderung irrelevant geworden.

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Objektiver Empfängerhorizont

Der objektive Empfängerhorizont ist der juristische Maßstab, der festlegt, wie eine Willenserklärung auszulegen ist – nämlich so, wie sie ein vernünftiger Dritter in der Situation verstehen musste und durfte. Entscheidend ist bei der Auslegung von Erklärungen nicht, was der Sender intern dachte, sondern wie die Erklärung nach Treu und Glauben auf den Empfänger wirken musste, um Vertrauen im Rechtsverkehr zu schützen.
Beispiel:
Für das Gericht war maßgeblich, dass die Geschädigte das detaillierte Abrechnungsschreiben der Versicherung nach dem objektiven Empfängerhorizont nur als abschließende Regulierungszusage deuten konnte.

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Schätzung gemäß § 287 ZPO

Die Schätzung gemäß § 287 der Zivilprozessordnung erlaubt es dem Richter, die Höhe eines Schadens oder einer Forderung frei festzusetzen, wenn eine exakte Berechnung unmöglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Diese Schätzungsbefugnis ist ein notwendiges Werkzeug der Justiz, um Geschädigten eine Entschädigung zu ermöglichen, ohne unrealistische Beweisanforderungen an die genaue Schadenshöhe zu stellen.
Beispiel:
Das Amtsgericht Braunschweig nutzte die Schätzung gemäß § 287 ZPO, um die Angemessenheit der Sachverständigenkosten festzulegen und zog dafür die BVSK-Tabelle als Anhaltspunkt heran.

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Wirtschaftlichkeitsgebot

Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet den Geschädigten, bei der Schadensbeseitigung im Rahmen des Zumutbaren denjenigen Weg zu wählen, der zur Erreichung des Zwecks am wirtschaftlichsten ist. Dieses Gebot stellt sicher, dass der Schädiger nicht mit unnötig hohen Kosten belastet wird; der Geschädigte muss zwar nicht den billigsten Anbieter suchen, aber erkennbare Überteuerungen vermeiden.
Beispiel:
Der Geschädigte trug das Risiko, wenn er einen Gutachter beauftragte, dessen Honorar das Wirtschaftlichkeitsgebot missachtete, weil die Kosten erkennbar über dem üblichen Marktniveau lagen.

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Zäsur-Funktion

Die Zäsur-Funktion beschreibt den Zweck einer juristischen Erklärung, einen klaren Schnittpunkt oder ein definitives Ende in einem zuvor strittigen oder unklaren Rechtsverhältnis zu setzen. Dieses Konzept sorgt für Prozessökonomie und Rechtssicherheit, indem es verhindert, dass Parteien bereits geklärte Positionen immer wieder neu zur Debatte stellen.
Beispiel:
Das Oberlandesgericht argumentierte, dass die detaillierte Abrechnung der Versicherung die klare Zäsur-Funktion besaß, den Streit über die Haftung dem Grunde nach endgültig abzuschließen.

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Das vorliegende Urteil


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht – Az.: 7 U 15/23 – Urteil vom 07.06.2023


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