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Unfall durch Reifenplatzer nicht durch Vollkaskoversicherung gedeckt

Oberlandesgericht Hamm

Az.: 20 U 83/13

Urteil vom 15.11.2013

 

Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. März 2013 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten geführten Kaskoversicherung geltend, nachdem an dem im Eigentum ihres Ehemannes stehenden Pkw Porsche ######## am 27.06.2010 während einer Autobahnfahrt mit hoher Geschwindigkeit der linke hintere Reifen platzte und an dem Fahrzeug massive Schäden entstanden.

Der Ehemann der Klägerin, Herr Q, befuhr am 27.06.2010 mit der Klägerin als Beifahrerin mit dem versicherten Fahrzeug die BAB 31 in Fahrtrichtung Bottrop mit sehr hoher Geschwindigkeit. In der Nähe von Lingen platzte der hintere linke Reifen des Pkw, der ein Herstellungsdatum der Streithelferin aus der 50. Kalenderwoche des Jahres 2000 trägt. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von ca. 43.700 km. Die Beklagte ersetzte nach Einholung von Gutachten Schäden, die durch das Aufsetzen des Fahrzeuges nach dem Platzen des Reifens entstanden waren. Sie lehnte jedoch die Regulierung solcher Schäden ab, die vor dem Aufsetzen durch Teile des beschädigten Reifens entstanden waren.

Die Klägerin hat behauptet, zu dem Schaden sei es gekommen, als die Insassen plötzlich einen Schlag verspürt und Sekundenbruchteile später durch ein heftiges Geräusch erschreckt worden seien. Es sei praktisch ausgeschlossen, dass ein Reifen ohne äußere Ursache platze. Wegen der hohen Geschwindigkeit sei das Platzen schon durch ein Schlagloch oder andere Hindernisse wie eine kleine Schraube oder andere Fremdkörper erklärlich. Das Alter der Reifen sei irrelevant gewesen. Ihr Ehemann habe vor der Fahrt noch den Luftdruck der Reifen kontrolliert. Jedenfalls seien sämtliche Schäden durch das Aufsetzen des Fahrzeuges auf dem Boden entstanden.

Die Klägerin hat einen ursprünglichen Feststellungsantrag bzgl. der Verpflichtung zur Erstattung von Mehrwertsteuer für erledigt erklärt und im Übrigen erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

an sie 19.789,34 € sowie weitere 380,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.01.2011 zu zahlen abzüglich eines am 11.02.2011 gezahlten Betrages von 1.389,33 € und eines am 13.07.2011 gezahlten Betrages von 872,98 €;

vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 636,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.01.2011 zu zahlen;

ihr Auskunft zu erteilen, aus welchen Gründen die bedingungsgemäße Regulierung der Rechnung vom 11.02.2011 über das Auswechseln der Windschutzscheibe in Höhe von 1.212,86 € abgelehnt werde.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat einen vor dem Aufsetzen des Fahrzeuges liegenden Unfall bestritten. Für das Platzen des Reifens seien verschiedene Ursachen denkbar, vorliegend insbesondere das Alter des Reifens bei geringer Laufleistung. Soweit sie Schäden nicht reguliert habe, seien diese durch das Aufschlagen von Reifenstücken auf die Karosserie entstanden.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Prof. T, die dieser im Hinblick auf Stellungnahmen des Privatsachverständigen X ergänzt hat.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von Zinsen auf während des Rechtsstreits gezahlte Beträge verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass bereits das Platzen des Reifens durch ein von außen mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis verursacht worden sei. Soweit die Beklagte Schäden nicht ersetzt habe, seien diese durch rotierende Reifenteile verursacht worden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung wendet die Klägerin ein, es müsse eine äußere mechanische Einwirkung auf den Reifen zu dessen Platzen geführt haben. Im Übrigen seien die Versicherungsbedingungen intransparent, soweit Betriebsschäden vom Versicherungsschutz ausgenommen werden.

Die Klägerin beantragt, das am 11.03.2013 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

an sie weitere 19.789,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2011 sowie

vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von 636,06 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.01.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die landgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.

Der Sachverständige Prof. T hat seine Gutachten mündlich gegenüber dem Senat erläutert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 15.11.2013 Bezug genommen.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Denn sie hat nicht bewiesen, dass die bislang nicht regulierten Schäden am Fahrzeug ihres Ehemannes auf einem Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen beruhen.

Der Versicherungsschutz umfasst gem. § 12 (1) II. e) AKB 7/2003 Beschädigungen „durch Unfall, d.h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis. Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden.“

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (BGH, Urteil vom 19.12.2012, Az. IV ZR 21/11, NJW-RR 2013, 406, Tz. 11 m.w.N.). Hinsichtlich des Unfallbegriffs verdeutlicht die Voraussetzung „von außen“ dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass der Gegenstand, von dem die auf das versicherte Fahrzeug wirkende mechanische Gewalt ausgehen muss, nicht Teil des Fahrzeuges selbst sein darf. Sofern sich ein Teil eines versicherten Fahrzeuges löst, kommt es hinsichtlich der Frage, wie lange ein solches noch nicht als von außen auf das Fahrzeug wirkender, fahrzeugfremder Gegenstand anzusehen ist, auf die Verkehrsanschauung des täglichen Lebens an. Dabei ist ein Vorgang, bei dem sich ein Fahrzeugteil während der Fahrt löst, als einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, der zumindest noch andauert, soweit das Fahrzeug unmittelbar im Anschluss an die Ablösung des Teils von diesem getroffen und beschädigt wird (BGH, Beschluss vom 15.05.2013, Az. IV ZR 62/12, NJW-RR 2013, 979, Tz. 4 f.). Einwirkungen von außen können auch in der Fahrbahnbeschaffenheit oder den Witterungsverhältnissen liegen (BGH, Urteil vom 19.12.2012, a.a.O., Tz. 13). „Betriebsschäden“ sind solche, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen. Betriebsschäden sind ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des KFZ gehören. Ob ein Ereignis, das die wesentlichen Merkmale eines Unfalls aufweist, als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen ist, hängt entscheidend von der Verwendung des Fahrzeugs ab. Wird ein Fahrzeug nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb bestimmten Risiken ausgesetzt, so handelt es sich bei den daraus entstehenden Fahrzeugschäden im Zweifel um Betriebsschäden (BGH, Urteil vom 23.10.1968, Az. IV ZR 515/68, VersR 1969, 32).

Unter Berücksichtigung dieses Umfanges des Versicherungsschutzes hat die Klägerin nicht bewiesen, dass die noch im Streit stehenden Schäden durch einen Unfall verursacht worden sind.

a)

Das Landgericht hat auf Basis der überzeugenden und nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. T festgestellt, dass die noch im Streit stehenden Schäden durch das Rotieren des defekten Reifens entstanden sind. Diese Feststellung wird mit der Berufung nicht angegriffen.

b)

Die Klägerin vermag den Beweis, dass der Reifen aufgrund eines Unfalles geplatzt ist, nicht zu führen. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Platzen des Reifens durch einen Betriebsvorgang verursacht worden ist. Wegen der möglichen Ursachen des Platzens des Reifens wird zunächst auf die umfangreiche Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen Prof. T im Rahmen der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen. Im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens gegenüber dem Senat hat der Sachverständige anhand von Fotos des beschädigten Reifens die möglichen Ursachen der Beschädigung im Bereich der Innenschulter, die durch anschließendes Abreißen der Lauffläche zur Zerstörung geführt hat, überzeugend dargestellt. Wie bereits im Rahmen seiner schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige thermische Ursachen ausgeschlossen. Er hatte bereits im Rahmen seines Ergänzungsgutachtens vom 31.07.2012, dort S. 3, ausgeführt, dass am Reifen keine thermischen Spuren vorhanden seien. Gegenüber dem Senat hat der Sachverständige erläutert, dass die Schädigung im Bereich der Innenschulter entweder durch Oxidation des eingearbeiteten Drahtgeflechts in diesem Bereich oder aber mechanisch entstanden sein könne. Hinsichtlich der Variante der Entstehung durch Oxidation hat der Sachverständige ausgeführt, dass beispielsweise kleine Beschädigungen wie das Durchfahren eines kleinen Nagels hierzu führen können, weil das einvulkanisierte Drahtgeflecht dann Kontakt zu Sauerstoff bekommen könne. Hinsichtlich einer mechanischen Verursachung der Beschädigung im Bereich der Innenschulter hat der Sachverständige insbesondere das Befahren eines auch sehr niedrigen Bordsteins in einem ungünstigen Winkel angeführt. Der hier vorliegende Sportwagenreifen sei insoweit deutlich empfindlicher als Reifen für herkömmliche Pkw. Der Sachverständige hat überzeugend erläutert, dass solche Reifen selbst extremen Belastungen problemlos standhielten, insbesondere beim Überfahren von Gegenständen nicht unmittelbar platzten. Allerdings seien sie empfindlich bei Quetschungen, wie sie beim Befahren auch niedriger Bordsteinkanten in ungünstigem Winkel entstehen könnten.

Auf Basis dieser Ausführungen, denen der Senat folgt, ist der Klägerin der ihr obliegende Beweis des Platzens des Reifens aufgrund eines Unfalls nicht gelungen. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob das Einfahren in einen kleinen Nagel oder eine Scherbe noch als Betriebsvorgang anzusehen ist. Denn jedenfalls die ebenso wahrscheinliche Ursache der Beschädigung der Innenschulter aufgrund einer Quetschung des Reifens, wie sie insbesondere beim Befahren eines Bordsteins mit ungünstigem Winkel entstehen kann, stellt einen Betriebsschaden dar und ist damit nach den Versicherungsbedingungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Wie bereits ausgeführt, hängt die Abgrenzung, ob ein Ereignis, dass die wesentlichen Merkmale eines Unfalls aufweist, als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen ist, von der Verwendung des Fahrzeuges ab. Wird ein Fahrzeug nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb bestimmten Risiken ausgesetzt, so handelt es sich bei den daraus entstehenden Fahrzeugschäden im Zweifel um Betriebsschäden (BGH, Urteil vom 23.10.1968, a.a.O.). Danach stellt das Befahren eines Bordsteins in ungünstigem Winkel einen Betriebsvorgang dar. Denn ein Sportwagen mit Straßenzulassung wird typischerweise im gewöhnlichen Fahrbetrieb dem Risiko ausgesetzt, beim Überfahren von auch abgesenkten Bordsteinen Reifenschäden zu erleiden.

c)

Soweit die Rechtsmeinung vertreten wird, dass der Ausschluss von Betriebsschäden unwirksam sei (exemplarisch Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, Rn. 13 zu AKB 2008 A.2.3), folgt der Senat dem nicht.  § 12 (1) II. e) S. 2 AKB 7/2003 stellt eine rein erläuternde Einschränkung des Unfallbegriffs dar (vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2013, a.a.O., Tz. 7). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird diese Erläuterung dahin verstehen, dass Ursachen, die zwar von außen kommen, aber dem normalen Betriebsrisiko zuzuordnen sind, nicht als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen gelten. Entsprechend wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer eine Beschädigung eines Reifens infolge des Überfahrens einer niedrigen Bordsteinkante nicht als Unfall ansehen.

Die Berufung der Klägerin hat danach keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich der Streithelferin ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, § 101 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

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