AG Leer – Az.: 73 C 318/12 – Urteil vom 27.08.2012
1.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 344,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4.) Der Wert des Streitgegenstands wird auf bis zu 600,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist zum weit überwiegenden Teil begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Sachverständigengutachtens, sowie der fiktiv berechneten UPE-Aufschläge und Verbringungskosten in Höhe von insgesamt 344,67 € aus §§ 7 Abs 1, 17 StVG, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, 115 Abs. 1 VVG gegen die Beklagte zu.
Bei den Kosten für die Beauftragung des Sachverständigen handelt es sich um erforderlichen Wiederherstellungsaufwand im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB. Es liegt hier kein Fall der Nichterstattungsfähigkeit der Gutachterkosten vor. Insbesondere ist hier nicht von einem Bagatellschaden auszugehen.
Bei der Frage, ob nach einem Verkehrsunfall ein Sachverständigengutachten zur Schätzung der Reparaturkosten eingeholt werden darf/soll kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Dabei muss der geschädigte Laie eine Prognose über den tatsächlichen Reparaturaufwand vor Beauftragung des Sachverständigen anstellen. Dass die Klägerin im vorliegenden Fall gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verstoßen hätte ist nicht ersichtlich.
Dabei ist nach Auffassung des Gerichts hier nicht streitentscheidend, ob sich die allgemein angenommene Grenze für Bagatellschäden auf den Brutto- oder den Nettoschaden bezieht. Selbst wenn man den geschätzten Nettoschaden für ausschlaggebend hält, der hier bei 668,43 € liegt, führt dies nicht dazu, dass die Gutachterkosten nicht ersatzfähig wären. Nach den insoweit unstreitig gebliebenen Ausführungen der Klägerin waren durch den Verkehrsunfall an ihrem Fahrzeug Schäden am Stoßfänger hinten rechts entstanden. Für einen Laien war es aufgrund der vorgefundenen Schäden nicht erkennbar, ob der Stoßfänger ausgetauscht werden muss oder aber eine Reparatur durch Ausbeulen und Lackieren ausreichend sein würde. Dies liegt insbesondere daran, dass die Klägerin als Laie nicht erkennen konnte, ob sich der Stoßfänger nach dem Zusammenstoß wieder von selbst ausgebeult hat und möglicherweise dahinter liegende Teile beschädigt worden sind. Die Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten würden aber nach Auffassung des Gerichts in unzumutbarer Weise erhöht, verlangte man von dem Geschädigten vor der Entscheidung über die Einholung eines Gutachtens eigene tiefergehende, aufgrund fehlender technischer Ausbildung gar nicht zu bewerkstelligende, Recherchen und Fehleranalysen, oder gar in jedem Fall die Einholung eines einfachen Kostenvoranschlags. Im Ergebnis würden derart hohe Anforderungen den gesamten Prozess vor der Einholung eines Gutachtens ad absurdum führen, da ja gerade erst durch die Einholung eines Gutachtens der Reparaturaufwand ermittelt werden soll.
Bei der Komplexität der Konstruktion der heutigen Fahrzeuge ist es einem Laien häufig schlichtweg unmöglich, den Aufwand der Schadensbeseitigung zu schätzen. Dieses Risiko kann jedoch letztendlich nicht beim Geschädigten verbleiben.
Aus diesem Grund ist auch eine strikte Anwendung einer festen Bagatellgrenze aus Sicht des Gerichts unangebracht. Dem Geschädigten als Laien ist es nicht zuzumuten, dass er einen Gutachter beauftragen darf und dessen Kosten ersetzt verlangen kann, wenn der Reparaturaufwand 700- 750 € beträgt; andererseits aber bei Reparaturkosten von knapp unter 700,00 € keine Kostenerstattung erfolgt. Dies würde wiederum verlangen, dass ein Laie den Reparaturaufwand auf 50,00 € genau zu schätzen vermag. Eine gewisse Toleranzgrenze erscheint dem Gericht daher -auch unter Berücksichtigung der Risikosphären – angemessen.
Darüber hinaus kann die Klägerin auch die fiktiv berechneten UPE-Aufschläge und Verbringungskosten ersetzt verlangen. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des KG Berlin (Beschluss vom 07.01.2010, AZ 12 U 20/09) und des LG Hanau (Urteil vom 09.04.2010, AZ 2 S 281/09) an. Danach sind die Aufschläge und Verbringungskosten im Rahmen der fiktiven Schadensberechnung erstattungsfähig, wenn sie in einer markengebundenen Fachwerkstatt an dem Ort, an dem die Reparatur auszuführen ist, tatsächlich anfallen. Dies ist hier nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin der Fall. Die pauschale Behauptung der Beklagten, in Westerstede, Leer und Umgebung fielen Verbringungskosten und UPE-Aufschläge nicht zwangsläufig an; es gebe genügend Werkstätten, die diese Kosten nicht berechneten, ist nicht geeignet, den Anspruch zu Fall zu bringen. Die Beklagten behaupten gerade nicht, dass es dort markengebundene Fachwerkstätten gibt, bei denen diese Kosten nicht anfielen.
Der Zinsanspruch ist gerechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des Zahlungsverzuges §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Soweit die Klägerin jedoch über die Gutachterkosten und die gekürzten Reparaturkosten hinaus Ersatz von 25,00 € verlangt ist die Klage unbegründet. Es fehlt bereits an einer Darlegung, aufgrund welcher Tatsachen sie diesen betrag verlangt. Im Übrigen hat aber die Beklagte unbestritten vorgetragen, die Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € beglichen zu haben.
Eines gerichtlichen Hinweises vor der teilweisen Klageabweisung bedurfte es nicht, da die Beklagte die Klägerin im Schriftsatz vom 23.04.2012 explizit auf die Unschlüssigkeit der Klage in Höhe von 25,00 € hingewiesen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da es sich bei der Zuvielforderung der Klägerin um eine geringfügige handelte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.