AG München – Az.: 331 C 13769/20 – Urteil vom 30.07.2021
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 689,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.09.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wir verurteilt, den Kläger von einer Forderung seiner Prozessbevollmächtigten über 934,03 € für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.476,15 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom … in der Gießener Straße in Wilnsdorf.
Beteiligt war das Kraftfahrzeug der Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen … (im Folgenden „Klägerfahrzeug“), sowie das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … welches bei der Beklagten zum Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert war (im Folgenden „Beklagtenfahrzeug“).
Am … parkte der Kläger mit seinem Pkw auf einem Parkplatz in … Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs kollidierte beim Rangieren mit dem klägerischen Pkw und verursachte Schäden am Klägerfahrzeug. Dieser Sachverhalt und die Haftung dem Grunde nach stehen nicht in Streit.
Der Kläger hat ein Schadensgutachten beauftragt und dem vor Ort ansässigen Autohaus … einen Reparaturauftrag erteilt, weil das Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr verkehrssicher war. Nach Fertigstellung der Reparatur ist das Fahrzeug des Klägers am 18.01.2020 zum Wohnsitz des Klägers, nach … in der Schweiz, überführt worden. Für die Überführung sind dem Kläger von der Werkstatt 789,68 € berechnet worden. Die Beklagte hat hierauf lediglich einen Pauschalbetrag von 100 € bezahlt.
Die Differenz in Höhe von 689,68 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten macht der Kläger nunmehr geltend.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Regulierungspraxis der Beklagten rechtswidrig ist. Ereignet sich ein Unfall fernab des Wohnsitzes eines Geschädigten und wird das Fahrzeug in einer Werkstatt am Unfallort repariert, könne der Geschädigte das Fahrzeug danach in seinen Heimatort transportieren lassen. Diese Kosten seien erforderlich im Sinne des Schadensersatzrechts.
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 689,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von einer Forderung seiner Prozessbevollmächtigten über 934,03 € vorgerichtliche Kosten freizustellen.
Die Beklagte beantragt: Klageabweisung.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Überführungskosten seien nicht erstattungsfähig. Der Kläger verlange Kosten, welche dadurch entstanden sind, dass der Kläger sein Fahrzeug nach der Reparatur bei der Werkstatt nicht abgeholt hat, sondern dieses kostenpflichtig zustellen hat lassen. Überführungskosten seien nur im Falle der Anschaffung eines neuen Fahrzeugs zu ersetzen. Insbesondere aufgrund die Tatsache, dass für den Zeitraum von 19 Tagen ein Mietfahrzeug angemietet wurde, ohne dass das Mietfahrzeug zugestellt wurde, beweise, dass der Kläger das Fahrzeug ohne weiteres entgegennehmen konnte.
Der Kläger wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung am … informatorisch angehört.
Zur Ergänzung wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom … sowie auf die übrigen Aktenbestandteile.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 689,68 € gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG, 1 PflVG.
Die geltend gemachten Überführungskosten stellen erstattungsfähigen Schadenspositionen im Rahmen des § 249 Abs. 2 BGB dar.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Geschädigte, der das Unfallfahrzeug selbst zur Reparatur gibt, nach § 249 Abs. 2 BGB von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer den Geldbetrag ersetzt verlangen, der zur Herstellung des beschädigten Fahrzeuges erforderlich ist (BGHZ 63, 182, 183). Der erforderliche Herstellungsaufwand wird dabei nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeuges heranziehen muss (BGHZ 63, 182, 184). In diesem Sinne ist der Schaden subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 63, 182, 184). Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung unter einem fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einfluss stattfinden muss (vgl. BGHZ 63, 182,185). Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2, Satz 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (BGHZ 132, 373, 376).
Die in Streit stehenden Überführungskosten sind neben der Reparatur des Fahrzeugs selbst ebenso in einem derartigen „möglichst vollständigen Schadensausgleich“ zu berücksichtigen. Dem Geschädigten ist es im Rahmen seiner Schadensminderungsobliegenheit zwar zuzumuten, als erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nur die Kosten erstattet zu verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens notwendig erscheinen. Er ist aber nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwenden Kosten beeinflussen kann. Der Kläger hat vorliegend nach Ansicht des Gerichts den wirtschaftlicheren Weg im Rahmen des ihm Zumutbaren gewählt.
Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung unter anderem angegeben, dass er die Reparatur unmittelbar bei der Werkstatt in Auftrag gegeben hat, auf deren Parkplatz es ohnehin bei dem streitgegenständlichen Unfall gestanden hat. Dort habe man das Fahrzeug aufgrund der Feiertage nicht unmittelbar reparieren können. Deshalb habe der Kläger sich von dort einen Mietwagen genommen und sei zu seinem Wohnort in die Schweiz zurückgefahren. Der Mietwagen sei nach erfolgter Reparatur wieder abgeholt worden und das reparierte Fahrzeug zu dem Kläger in die Schweiz gebracht worden. Es sei ca. am 3. Januar wieder zurück in die Schweiz gefallen, weil er am 6. Januar wieder habe arbeiten müssen. Er habe die Information gehabt, dass die Reparatur ungefähr ein bis zwei Wochen dauern würde. Dies habe sich insofern auch bewahrheitet, als zwei Wochen später sein repariertes Fahrzeug wieder gebracht worden sei und der Mietwagen wieder mitgenommen worden sei.
Auf Nachfrage ergänzte der Kläger, dass er sein Fahrzeug einfach nach seinem Urlaub wieder in … abgeholt hätte und damit zurück in die Schweiz gefahren wäre. Der ursprüngliche Grund, warum der Kläger sein Fahrzeug in die Werkstatt gebracht hat, war ein … Dieser sollte bis zum 30.12.2019 behoben sein. Von da an hätte der Kläger sein Fahrzeug ohne das Unfallereignis wieder abholen können. Der streitgegenständliche Unfall war damit zur Überzeugung des Gerichts gerade kausal dafür, dass der Kläger nicht mit seinem eigenen Fahrzeug wieder in die Schweiz zurückfahren konnte, sondern einen Mietwagen in Anspruch nehmen durfte. Damit zusammenhängend sind auch die Überführungskosten unfallkausal angefallen. Diese sind als erforderlich anzusehen und dem Kläger zu erstatten. Es ist kein Grund ersichtlich, inwiefern dem Kläger im Rahmen seiner Schadensminderungsobliegenheit ein Vorwurf gemacht werden kann. Er hat in der Gesamtbetrachtung die kürzesten, ihm möglichen Wege gewählt d. h. er hat die Reparatur an dem Ort in Auftrag gegeben, an dem sein beschädigtes Fahrzeug ohnehin schon gestanden ist. Es ist unstreitig, dass sein Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher war. Er konnte somit nicht mit seinem eigenen Fahrzeug wieder in die Schweiz fahren. Er hat im Rahmen der informatorischen Anhörung nachvollziehbar und plausibel angegeben, dass er aber aufgrund seiner Arbeitstätigkeit zum Jahresbeginn wieder zurück in die Schweiz musste. Zu diesem Zeitpunkt war sein Fahrzeug noch nicht repariert. Es war dem Kläger weder zumutbar, in … für die Dauer der Reparatur zu verbleiben noch nach erfolgter Reparatur den Mietwagen zurückzubringen und sein eigenes Fahrzeug wieder abzuholen.
Das von Beklagtenseite zitierte Urteil des LG Schweinfurt (1. Zivilkammer, Endurteil vom 29.11.1985 – 1 S 45/85) kann nicht deren Standpunkt stützen. Darin heißt es: „Im Falle der Zerstörung einer Sache sind als erstattungsfähiger Schaden die Kosten für die Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich gleichwertigen Ersatzsache abzüglich des Restwertes der zerstörten Sache anzusehen (vgl. Palandt, 44. Auflage, Anm. 4 a aa zu § 251 BGB). Wenn sich ein Geschädigter in einem solchen Fall nicht für die Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich gleichwertigen Ersatzsache, also für die Anschaffung eines Gebrauchtwagens entscheidet, sondern einen Neuwagen erwirbt, sind die Überführungskosten anlässlich des Pkw-Neukaufes keine erstattungsfähigen Wiederbeschaffungskosten, da sie beim Erwerb eines wirtschaftlich gleichwertigen, gebrauchten Pkws nicht angefallen wären.“ Damit sind entgegen der Ansicht der Beklagten Überführungskosten im Falle eines Neuwagenkaufs nicht erstattungsfähig. Vorliegend geht es aber nicht um die Differenzierung Gebrauchtwagen/Neuwagen, sondern die Überführung des reparierten Klägerfahrzeugs.
Die Tatsache, dass der Kläger einen Mietwagen für 19 Tage angemietet hat, ist nach Ansicht des Gerichts nicht ausschlaggebend dafür, dass er auch sein eigenes Fahrzeug ohne weiteres entgegennehmen hätte können. Der Kläger hat plausibel und nachvollziehbar im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er den Mietwagen in … bei der Reparaturwerkstatt angemietet hat, mit diesem dann – anstelle seines unstreitig nicht mehr verkehrssichereren, beschädigten Fahrzeugs – an seinen Wohnort in die Schweiz gefahren ist und dieser Mietwagen im Rahmen der Überführung seines reparierten Fahrzeugs wieder abgeholt wurde. Das Mietfahrzeug wurde deshalb nicht zugestellt, weil der Kläger es unter Berücksichtigung seiner Schadensminderungsobliegenheit unmittelbar am Unfallort angemietet hat.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts war der Kläger im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gerade nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug dort abzuholen, wo er den Reparaturauftrag erteilt hat. Dem Kläger ist es nicht anzulasten, dass sich ein Unfall während seines Aufenthalts in … ereignet hat, während er wohnhaft in … ist. Es wäre ihm insbesondere nicht zumutbar gewesen, zur Entlastung des Schädigers die Entfernung … zweifach zurückzulegen, um sein repariertes Fahrzeug abzuholen. Gerade dadurch, dass die Abholung des Mietwagens mit der Überführung des reparierten Fahrzeugs verbunden wurde, zeigt dass der Kläger in ausreichendem Maße seiner Schadensminderungsobliegenheit nachgekommen ist. Der Kläger hat – unbestritten – angegeben, dass er zwischen dem Zeitpunkt, als er wieder in die Schweiz gefahren ist, und dem Zeitpunkt, als sein Fahrzeug in die Schweiz gebracht wurde, nicht mehr selbst in Deutschland war („dann hätte ich es ja auch selbst holen können“). Dass er diese Abholung aber selbst vornimmt und die Entfernung zweifach zurücklegt, war im gerade nicht zuzumuten.
Dass sich der Kläger in den von ihm angegebenen Zeiträumen in Deutschland aufgehalten hat und mit dem Mietwagen wieder zurück in die Schweiz gefahren ist, wurde beklagtenseits nicht substantiiert bestritten. Auf den dafür angebotenen Zeugen … – den Bruder des Klägers – wurde daher auch von Klageseite im Rahmen der mündlichen Verhandlung verzichtet. Dieser war daher nicht vom Gericht zu vernehmen.
Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten
Die Klage wurde der Beklagten am 07.09.2020 zugestellt. Daher ergeben sich gem. dem Rechtsgedanken des § 187 Abs. 1 BGB beantragte Zinsen ab dem 08.09.2020, § 291 ZPO.
Zudem hat der Kläger Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten aus dem Gegenstandswert von 11.032,17 €, d.h. inklusive Pauschale und Mwst. 958,19 €. Darauf bezahlt wurde noch nicht. Der Kläger beantragt lediglich Freistellung hinsichtlich 934,03 €. Dahingehend war zu tenorieren, § 308 ZPO.
Bei der Behauptung der Beklagtenseite, dass der Anspruch auf eine Rechtsschutzversicherung übergegangen sei und die Klägerseite deshalb nicht mehr aktiv legitimiert sei, handelt es sich um eine Behauptung „ins Blaue“, da nicht näher dargelegt ist, worauf diese Behauptung gestützt wird. Es handelt sich daher nicht um ein wirksames Bestreiten der Aktivlegitimation.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert
Der Gebührenstreitwert ergibt sich aus der Klageforderung in der Hauptsache und den teilweise streitwerterhöhenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ohne Berücksichtigung der als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen.
Die mit eingeklagten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten erhöhen den Streitwert insoweit nicht, als sie von der Hauptforderung abhängig sind (BGH, Urteil vom 30.1.2007, … Zb/06; OLG München, Beschluss vom 12.03.2015, 10 U 579/15).
Vorliegend errechnet der Kläger jedoch die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 11.032,17 € (geltend gemachte Rechtsanwaltskosten insgesamt: 934,03 €) und nicht nur aus den eingeklagten 689,68 €. Damit waren nicht alle außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von der Hauptforderung abhängig. Sie dürfen damit nicht komplett, sondern nur zum Teil beim Streitwert unberücksichtigt bleiben (BGH, Urteil vom 04.12.2007, VI ZR 3/06).
Die Rechtsanwaltskosten aus der streitgegenständlichen Forderung in Höhe von 689,68 € betragen 147,56 €. Insoweit besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Soweit der Kläger einen überschießenden Betrag in Höhe von (934,03 € – 147,56 € =) 786,47 geltend macht, wirkt dieser streitwerterhöhend und ist zum Streitwert der Klageforderung zu addieren. Hieraus errechnet sich ein Streitwert in Höhe von 1.476,15 €.