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Höhe des Hinterbliebenengeldes nach einem Todesfall: Kürzung bei Mitverschulden

Die Haftung bei tödlichem Verkehrsunfall eines alkoholisierten Fußgängers musste das LG Lüneburg klären, nachdem der dunkel gekleidete Mann auf der Landstraße starb. Das Gericht erkannte zwar einen Anspruch der Mutter auf Hinterbliebenengeld an, reduzierte diesen jedoch wegen des grob fahrlässigen Verhaltens des Mannes massiv.

Übersicht

Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 O 315/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Lüneburg
  • Datum: 21.05.2024
  • Aktenzeichen: 5 O 315/23
  • Verfahren: Zivilverfahren nach tödlichem Verkehrsunfall
  • Rechtsbereiche: Haftungsrecht, Schadensersatzrecht, Verkehrsunfallrecht

  • Das Problem: Die Mutter eines tödlich verunfallten Fußgängers klagte auf Schmerzensgeld und die Kosten der Bestattung. Die Beklagten, Fahrer und Versicherung, wollten keine Haftung übernehmen. Sie sahen das grobe Eigenverschulden des stark alkoholisierten Fußgängers.
  • Die Rechtsfrage: Muss der Autofahrer für den Tod haften, obwohl der stark betrunkene Fußgänger den Unfall größtenteils selbst verursachte? Wie hoch darf das Schmerzensgeld für Hinterbliebene sein?
  • Die Antwort: Ja, die Beklagten müssen zahlen, aber nur zu einem Drittel. Der alkoholisierte Fußgänger verursachte den Unfall durch sein verkehrswidriges Verhalten zu zwei Dritteln selbst. Das angemessene Hinterbliebenengeld setzte das Gericht auf 10.000 Euro fest.
  • Die Bedeutung: Bei Verkehrsunfällen kann das grobe Fehlverhalten eines Betrunkenen die Haftung des Autofahrers stark mindern. Die unvermeidbare Betriebsgefahr des Autos tritt hinter dem Eigenverschulden des Fußgängers zurück. Das Gericht orientierte sich beim Hinterbliebenengeld am üblichen Durchschnittswert von 10.000 Euro.

Haftung bei tödlichem Verkehrsunfall: Muss der Autofahrer zahlen, wenn der Fußgänger stark alkoholisiert war?

Ein Leben endet in der Morgendämmerung auf einer einsamen Landstraße. Ein junger Mann, stark alkoholisiert, wird von einem Auto erfasst und stirbt noch am Unfallort. Für seine Mutter beginnt ein Albtraum, der nicht nur von Trauer, sondern auch von einem zermürbenden Rechtsstreit geprägt ist. Sie verklagt den Fahrer und dessen Versicherung auf Schmerzensgeld für ihren seelischen Schmerz – das sogenannte Hinterbliebenengeld – und auf Erstattung der Beerdigungskosten. Der Fall wirft eine fundamentale Frage des Verkehrsrechts auf: Wie werden Schuld und Verantwortung verteilt, wenn die Gefahr eines Autos auf die grobe Unvorsichtigkeit eines Fußgängers trifft? Das Landgericht Lüneburg hat in seinem Urteil vom 21. Mai 2024 (Az.: 5 O 315/23) eine präzise Abwägung vorgenommen, die für alle Verkehrsteilnehmer von Bedeutung ist.

Was genau war in jener Nacht auf der Landstraße passiert?

Am 11. Juli 2021, gegen 4:30 Uhr morgens, war der Sohn der Klägerin zu Fuß auf der Landesstraße L 298 unterwegs. Die Straße verläuft außerhalb geschlossener Ortschaften, die Dämmerung hatte gerade begonnen. Eine Blutuntersuchung ergab später eine erhebliche Alkoholisierung. Zur selben Zeit befuhr der beklagte Autofahrer die Strecke mit eingeschaltetem Abblendlicht. Es kam zur Kollision, bei der der junge Mann tödlich verletzt wurde.

Die anschließenden Ermittlungen, deren Ergebnisse das Zivilgericht später heranzog, zeichneten ein detailliertes Bild des Geschehens. Ein Sachverständigengutachten aus dem eingestellten Strafverfahren gegen den Fahrer schätzte dessen Geschwindigkeit auf 50 bis 73 km/h – bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Der Gutachter errechnete zudem eine „Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit“ von 47 bis 54 km/h. Das bedeutet: Wäre der Fahrer in diesem niedrigeren Geschwindigkeitsbereich gefahren, hätte der Unfall möglicherweise verhindert werden können.

Die Mutter des Verstorbenen argumentierte vor Gericht, der Fahrer trage die Hauptschuld. Es sei bereits hell genug gewesen, um ihren Sohn auf der Straße zu erkennen. Zudem habe eine Straßenlaterne den Unfallort beleuchtet. Sie forderte daher ein angemessenes Hinterbliebenengeld und die Übernahme von 75 % der Bestattungskosten.

Die Gegenseite, der Fahrer und seine Haftpflichtversicherung, wies jede Verantwortung von sich. Ihr zentrales Argument war das massive Eigenverschulden des Fußgängers. Wer sich stark betrunken und dunkel gekleidet auf eine Landstraße begebe, handle derart grob fahrlässig, dass die grundsätzliche Haftung des Autofahrers vollständig dahinter zurücktreten müsse.

Welche rechtlichen Prinzipien entscheiden über Haftung und Schmerzensgeld?

Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, müssen Sie drei zentrale rechtliche Konzepte verstehen, die in diesem Fall aufeinandertreffen.

  1. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs (§ 7 StVG): Im deutschen Recht haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich für Schäden, die beim Betrieb des Fahrzeugs entstehen. Dies wird als „Betriebsgefahr“ bezeichnet. Diese Haftung ist verschuldensunabhängig. Das bedeutet, der Halter haftet allein deshalb, weil er eine potenzielle Gefahrenquelle – das Auto – in den Verkehr bringt, selbst wenn ihn persönlich kein Fahrfehler trifft. Einzige Ausnahme wäre „höhere Gewalt“, die hier aber keine Rolle spielte.
  2. Das Mitverschulden des Geschädigten (§ 254 BGB): Dieses Prinzip sorgt für einen gerechten Ausgleich. Hat der Geschädigte selbst durch eigenes Verschulden zum Schaden beigetragen, wird sein Anspruch auf Schadensersatz gekürzt. Die Höhe der Kürzung hängt davon ab, wie schwer sein eigener Verursachungsbeitrag im Verhältnis zum Beitrag des Schädigers wiegt. Für Ansprüche von Hinterbliebenen stellt das Gesetz klar, dass das Mitverschulden des Verstorbenen auch ihnen gegenüber gilt (§ 846 BGB).
  3. Das Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB): Seit 2017 haben nahe Angehörige, wie Eltern, Ehepartner oder Kinder, einen eigenen Anspruch auf eine Geldentschädigung für das seelische Leid, das sie durch den Tod eines geliebten Menschen erleiden. Dieser Anspruch soll den Schmerz anerkennen und eine gewisse Genugtuung verschaffen.

Der Kern des Prozesses war also eine Abwägung: Wie stark wiegt die Betriebsgefahr des Autos im Vergleich zum Mitverschulden des alkoholisierten Fußgängers?

Warum wog das Gericht das Verschulden des Fußgängers schwerer als die Betriebsgefahr des Autos?

Das Landgericht Lüneburg kam zu dem Schluss, dass beide Seiten zur Entstehung des tragischen Unfalls beigetragen haben. Es lehnte eine Alleinhaftung einer der beiden Parteien ab und bildete stattdessen eine Haftungsquote. Die detaillierte Analyse der Richter folgte dabei einer klaren Logik, die sich in mehreren Schritten vollzog.

Die entscheidende Frage: Wer hat den Unfall wahrscheinlicher gemacht?

Taumelnder Mann steht im Lichtkegel eines schnell nahenden Autos auf einer dunklen Landstraße.
Betriebsgefahr trifft auf grobe Eigenverschuldung: LG Lüneburg entscheidet über Haftung nach tödlichem Unfall. | Symbolbild: KI

Das Gericht stellte die zentrale Frage, die der Bundesgerichtshof für solche Fälle vorgibt: Wessen Verhalten hat den Eintritt des Schadens in wesentlich stärkerem Maße wahrscheinlich gemacht? Um diese Frage zu beantworten, zerlegte das Gericht das Geschehen in seine Einzelteile und bewertete das Verhalten beider Beteiligter.

Das Fehlverhalten des Fußgängers: Ein Bündel grober Fahrlässigkeit

Die Richter sahen im Verhalten des Verstorbenen den weitaus größeren Verursachungsbeitrag. Mehrere Faktoren kamen hier zusammen:

  • Starke Alkoholisierung: Ein erheblicher Alkoholpegel beeinträchtigt die Wahrnehmung, das Reaktionsvermögen und die Fähigkeit, Gefahren korrekt einzuschätzen.
  • Verkehrswidriges Verhalten: Der junge Mann überquerte eine außerörtliche Landstraße bei Dämmerung, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten.
  • Schlechte Sichtbarkeit: Die Gutachten stellten fest, dass seine Kleidung ihn für den Autofahrer nur schwer erkennbar machte.

In der Summe bewertete das Gericht dieses Verhalten als grob verkehrswidrig und als die primäre Ursache dafür, dass die gefährliche Situation überhaupt entstehen konnte.

Die Rolle des Autofahrers: Ein geringfügiger Vorwurf

Auf der Seite des Fahrers fand das Gericht ebenfalls einen, wenn auch deutlich geringeren, Verantwortungsanteil. Zwar war seine Geschwindigkeit mit 50-73 km/h unterhalb des erlaubten Limits von 70 km/h. Das Sachverständigengutachten zeigte jedoch, dass der Unfall bei einer noch langsameren Fahrt (unter 54 km/h) eventuell vermeidbar gewesen wäre.

Diesen Vorwurf stufte das Gericht aber als gering ein. Es berücksichtigte, dass sich der Unfallort nicht in der Nähe von Gaststätten oder Veranstaltungsorten befand, wo ein Fahrer mit unvorsichtigen Fußgängern rechnen müsste. Die Pflicht, die Geschwindigkeit noch weiter zu reduzieren, war daher nicht so ausgeprägt wie in einem belebten städtischen Umfeld. Dennoch bleibt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs bestehen.

Das Ergebnis der Abwägung: Eine Haftungsquote von 1/3 zu 2/3

Nach Abwägung aller Umstände kamen die Richter zu einem klaren Ergebnis: Das Verschulden des Fußgängers überwog bei Weitem. Sie legten fest, dass der Verstorbene (und damit seine Mutter als Erbin und Anspruchstellerin) zwei Drittel des Schadens selbst zu verantworten hat. Der Autofahrer und seine Versicherung müssen demnach für ein Drittel des entstandenen Schadens haften.

Wie wurde die Höhe des Hinterbliebenengeldes und der Kostenübernahme berechnet?

Nachdem die Haftungsquote feststand, musste das Gericht die Höhe des gesamten Schadens bestimmen, bevor die Quote angewendet werden konnte.

Hinterbliebenengeld: Warum setzte das Gericht 10.000 Euro an?

Die Mutter hatte die Höhe des Hinterbliebenengeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt. Das Gericht orientierte sich an dem Betrag, den der Gesetzgeber bei der Einführung des Anspruchs als Richtwert ansah und der auch in der Rechtsprechung anderer Gerichte als üblicher Durchschnitt gilt: 10.000 Euro.

Die Richter würdigten ausdrücklich das enge und gute Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohn, der zuletzt wieder bei seinen Eltern gelebt hatte. Auch die Tatsache, dass sie sich aufgrund der Trauer in psychotherapeutischer Behandlung befand, wurde zur Kenntnis genommen. Allerdings sah das Gericht keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche psychische Belastung, die über das für eine Mutter in einer solch furchtbaren Situation zu erwartende, tiefe Leid hinausging. Da keine Umstände vorlagen, die ein überdurchschnittlich hohes Hinterbliebenengeld rechtfertigen würden, blieb es bei dem Regelbetrag von 10.000 Euro.

Beerdigungskosten: Ein unstrittiger Posten

Die von der Mutter vorgelegten Bestattungskosten in Höhe von 7.226,16 Euro wurden von der Gegenseite nicht ernsthaft bestritten und vom Gericht als ersatzfähig anerkannt.

Die finale Rechnung: Wie die Quote den Anspruch reduziert

Der Gesamtschaden belief sich somit auf 17.226,16 Euro (10.000 Euro Hinterbliebenengeld plus 7.226,16 Euro Beerdigungskosten). Auf diesen Gesamtbetrag wandte das Gericht die zuvor ermittelte Haftungsquote von 1/3 an:

17.226,16 € x 1/3 = 5.742,05 €

Die Beklagten wurden verurteilt, diesen Betrag nebst Zinsen an die Mutter zu zahlen. Den weitaus größeren Teil ihres ursprünglichen Anspruchs und der Kosten musste die Klägerin selbst tragen.

Was bedeutet dieses Urteil für Sie als Verkehrsteilnehmer?

Das Urteil des Landgerichts Lüneburg ist eine Mahnung an alle, die am Straßenverkehr teilnehmen. Es verdeutlicht, dass die Verantwortung nicht einseitig verteilt wird, sondern das Ergebnis einer präzisen Analyse des jeweiligen Verhaltens ist. Daraus ergeben sich konkrete Lehren.

Checkliste für Autofahrer

  • Die Betriebsgefahr haftet Ihnen immer an: Selbst wenn Sie sich absolut korrekt verhalten, haften Sie aus der Betriebsgefahr Ihres Fahrzeugs anteilig, solange der Unfall für Sie nicht ein „unabwendbares Ereignis“ war. Eine Minderung der Geschwindigkeit unter das erlaubte Limit kann je nach Situation (Dunkelheit, unübersichtliche Stellen) geboten sein.
  • Rechnen Sie mit dem Unerwarteten: Auch wenn es unwahrscheinlich ist, kann es auf Landstraßen zu unvorhersehbaren Situationen kommen. Eine defensive und aufmerksame Fahrweise ist Ihr bester Schutz – rechtlich und faktisch.
  • Dokumentation ist entscheidend: Im Falle eines Unfalls sind die Feststellungen der Polizei und von Sachverständigen von zentraler Bedeutung. Ihre Angaben zum Hergang können die spätere zivilrechtliche Bewertung maßgeblich beeinflussen.

Checkliste für Fußgänger

  • Alkohol und Straßenverkehr sind unvereinbar: Das Urteil zeigt drastisch, dass schwere Alkoholisierung zu einem massiven Mitverschulden führen kann, das finanzielle Ansprüche für Sie oder Ihre Angehörigen fast vollständig zunichtemacht.
  • Sichtbarkeit ist Lebensversicherung: Besonders nachts und in der Dämmerung ist helle oder reflektierende Kleidung unerlässlich. Wer dunkel gekleidet unterwegs ist, erhöht sein eigenes Risiko und schwächt seine Rechtsposition im Schadensfall.
  • Nutzen Sie sichere Wege: Das Überqueren von schlecht beleuchteten Landstraßen birgt ein enormes Risiko. Suchen Sie nach sicheren Querungsmöglichkeiten oder meiden Sie solche Strecken als Fußgänger gänzlich.

Die Urteilslogik

Die Gerichte messen die Verantwortung im Straßenverkehr anhand der tatsächlichen Verursachungsbeiträge, wodurch grobe Fahrlässigkeit die grundsätzlich verschuldensunabhängige Betriebsgefahr übertrumpfen kann.

  • Grobes Eigenverschulden überwiegt die Fahrzeuggefahr: Wer sich stark alkoholisiert und unbeleuchtet auf einer Landstraße bewegt, trägt die primäre Schuld am Unfallgeschehen, weil dieses grob verkehrswidrige Verhalten den Eintritt des Schadens wesentlich wahrscheinlicher macht.
  • Die Betriebsgefahr bleibt bestehen: Selbst wenn das Fehlverhalten des Unfallgegners extrem schwer wiegt, bewahren Halter und Fahrer eine Restverantwortung (Betriebsgefahr), solange der Unfall bei einer noch defensiveren Fahrweise objektiv vermeidbar gewesen wäre.
  • Standardgrenzen beim Hinterbliebenengeld: Das Schmerzensgeld für seelisches Leid orientiert sich am gesetzlichen Richtwert, es sei denn, der Hinterbliebene weist eine außergewöhnliche psychische Belastung nach, die über das normale tiefe Leid des Verlusts hinausgeht.

Die Festlegung der Haftungsquote erfordert stets eine präzise Abwägung aller individuellen Verhaltensfehler und der Gefahrenquellen.


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Stehen Sie nach einem Verkehrsunfall ebenfalls vor der Frage der Haftung bei grobem Mitverschulden? Kontaktieren Sie uns für eine professionelle Ersteinschätzung Ihrer Anspruchslage.


Experten Kommentar

Ein Auto ist eine rollende Gefahr, die grundsätzlich immer eine Haftung auslöst. Doch dieses Urteil zieht eine klare rote Linie. Es zeigt, dass selbst die unvermeidbare Betriebsgefahr des Fahrzeugs fast vollständig hinter dem Eigenverschulden zurücktritt, wenn ein Fußgänger durch massive Alkoholisierung und Dunkelheit eine gefährliche Situation erst grob fahrlässig provoziert. Die Konsequenz für die Hinterbliebenen ist hart: Das Gericht reduziert den Schmerzensgeldanspruch drastisch, weil man das erhebliche Mitverschulden des Verstorbenen übernimmt. Wer also nach Schadensersatz sucht, muss wissen, dass die grobe Unvorsichtigkeit des Opfers rechtlich schwerer wiegt als die prinzipielle Gefahr, die vom Auto ausgeht.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wie wird die Haftung verteilt, wenn ein betrunkener Fußgänger auf der Landstraße vom Auto erfasst wird?

Die Haftung wird in solchen tragischen Fällen fast nie vollständig ausgeschlossen, da die verschuldensunabhängige Betriebsgefahr des Autos immer eine Rolle spielt. Entscheidend ist die präzise Abwägung beider Verursachungsbeiträge. Das grobe Eigenverschulden des Fußgängers, wie starke Alkoholisierung und schlechte Sichtbarkeit, überwiegt die Verantwortung des Fahrers jedoch in den meisten Fällen massiv.

Das Gericht bewertet die Kombination aus starker Alkoholisierung, Dunkelheit und dem verkehrswidrigen Begehen einer außerörtlichen Straße als ein Bündel grober Fahrlässigkeit. Dieses Verhalten hat den Eintritt des Schadens in wesentlich stärkerem Maße wahrscheinlich gemacht. Die Rechtsprechung verlangt eine genaue Prüfung, wessen Beitrag zur Gefahr der gravierendere war. Gerichte legen dem Fußgänger aufgrund dieser Faktoren typischerweise einen Anteil von zwei Dritteln des Gesamtschadens zur Last.

Der Autofahrer wird indes selten komplett von der Haftung befreit, da die grundsätzliche Betriebsgefahr seines Fahrzeugs (§ 7 StVG) stets bestehen bleibt. Dieser Restanteil der Haftung betrug in einem Fall vor dem Landgericht Lüneburg ein Drittel. Dies resultierte aus der Feststellung, dass der Unfall bei einer noch niedrigeren „Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit“ (unter 54 km/h) eventuell hätte verhindert werden können. Solange der Unfall für den Fahrer nicht unabwendbar war, trägt der Fahrzeughalter stets ein Restrisiko.

Um die Abwägungsgrundlage zu prüfen, sollten Sie Einsicht in das Sachverständigengutachten aus dem Strafverfahren gegen den Fahrer fordern.


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Habe ich Anspruch auf Hinterbliebenengeld, wenn der verstorbene Angehörige den Unfall grob fahrlässig mitverursacht hat?

Ja, der Anspruch auf Hinterbliebenengeld bleibt grundsätzlich bestehen, auch wenn Ihr Angehöriger den Unfall grob fahrlässig mitverursacht hat. Diese Entschädigung für das erlittene seelische Leid gilt als ein eigener Anspruch des Hinterbliebenen, den das Gesetz in § 844 Abs. 3 BGB verankert. Allerdings sorgt das Gesetz dafür, dass das Fehlverhalten des Verstorbenen direkt auf Ihren eigenen Anspruch durchschlägt.

Ihr Anspruch ist zwar eigenständig, er wird aber durch das festgestellte Mitverschulden des Getöteten im selben Maße gekürzt. Das liegt an der Regelung des § 846 BGB, die das Verschulden des Verunglückten auf die Ansprüche seiner Hinterbliebenen überträgt. Wurde dem Verstorbenen beispielsweise ein Mitverschulden von zwei Dritteln zugerechnet, reduziert sich Ihr Entschädigungsanspruch genau um diesen Anteil.

Für die finale Berechnung werden alle ersatzfähigen Schäden zunächst addiert. Dazu zählen typischerweise 10.000 Euro Hinterbliebenengeld und die notwendigen Bestattungskosten. Erst auf diesen Gesamtbetrag wendet man die Haftungsquote an, für die der Unfallverursacher tatsächlich verantwortlich ist, etwa ein Drittel.

Legen Sie daher sofort alle Belege über die Kosten zusammen und berechnen Sie den ungekürzten Gesamtanspruch, bevor Sie die festgestellte Quote des Mitverschuldens anwenden.


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Nach welchen Kriterien wird die Höhe des Hinterbliebenengeldes bei einem tödlichen Unfall berechnet?

Die Berechnung des Hinterbliebenengeldes (§ 844 Abs. 3 BGB) stützt sich auf einen gesetzgeberisch vorgesehenen Richtwert. Gerichte setzen diesen Betrag in der Praxis häufig bei 10.000 Euro an. Eine Erhöhung über diesen Standardwert hinaus ist nur dann möglich, wenn Sie als Kläger eine Belastung nachweisen, die deutlich über das normale, tiefe Leid hinausgeht. Der Fokus liegt dabei auf der Intensität der psychischen Folgen und der Qualität der Beziehung zum Verstorbenen.

Obwohl der Gesetzgeber den Anspruch geschaffen hat, um seelisches Leid anzuerkennen, existiert keine feste Schmerzensgeldtabelle. Das Gericht muss die konkreten Umstände des Einzelfalls umfassend prüfen und bewerten. Wichtige Kriterien zur Steigerung des Betrags sind das besonders enge und nachweislich gute Verhältnis zum Verstorbenen sowie das Auftreten therapiebedürftiger psychischer Folgen. Die Richter erwarten allerdings, dass enge Angehörige nach einem tödlichen Verlust tief trauern und unter Umständen auch psychische Hilfe in Anspruch nehmen.

Ein tiefes Leid, selbst wenn es psychotherapeutisch behandelt werden muss, reicht oft nicht aus, um die 10.000 Euro zu überschreiten. Das Landgericht Lüneburg lehnte eine Erhöhung ab, weil die psychische Belastung der Mutter nicht als außergewöhnlich eingestuft wurde. Richter prüfen genau, ob eine Abweichung von der normalen Belastungsreaktion vorliegt, beispielsweise eine diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung. Es zählt nicht nur die Dauer der Trauer, sondern die juristisch nachweisbare Intensität der psychischen Gesundheitsstörung.

Beschaffen Sie unbedingt eine ausführliche, gerichtstaugliche Stellungnahme Ihres behandelnden Arztes oder Psychotherapeuten, um Ihre Forderung zu untermauern.


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Wann kann ich als Autofahrer die Haftung wegen groben Eigenverschuldens des Fußgängers komplett ausschließen?

Der vollständige Haftungsausschluss für den Autofahrer ist juristisch nur unter extrem hohen Hürden möglich. Er setzt voraus, dass der Unfall für den Fahrzeughalter ein unabwendbares Ereignis darstellte. Grund dafür ist die verschuldensunabhängige Betriebsgefahr des Fahrzeugs (§ 7 StVG), die selbst bei fehlerfreiem Fahrverhalten eine Restverantwortung begründet.

Die Haftung für die Betriebsgefahr bleibt bestehen, weil die Nutzung eines Kraftfahrzeugs stets eine potenzielle Gefahrenquelle darstellt. Sie entfällt erst, wenn Sie beweisen, dass selbst ein sogenannter „Idealfahrer“ bei äußerster Sorgfalt und größter Aufmerksamkeit den Zusammenstoß nicht hätte vermeiden können. Die bloße Einhaltung der gesetzlichen Geschwindigkeitsbegrenzung führt nicht automatisch zum Ausschluss der Haftung. Gerichte prüfen, ob die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit objektiv den spezifischen Umständen angepasst war.

Hierbei wird die sogenannte „Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit“ zum Maßstab. Ein Sachverständigengutachten muss belegen, dass Ihre Geschwindigkeit unter den gegebenen Sichtverhältnissen (zum Beispiel Dämmerung oder unbeleuchtete Strecke) objektiv geboten war. Im Fall vor dem Landgericht Lüneburg zeigte das Gutachten, dass der Unfall bei einer noch langsameren Fahrt unter 54 km/h eventuell vermeidbar gewesen wäre. Dies begründete die Rest-Haftung des Fahrers von einem Drittel, trotz des groben Eigenverschuldens des Fußgängers.

Konzentrieren Sie sich darauf nachzuweisen, dass Sie Ihre Geschwindigkeit den spezifischen Sichtverhältnissen angepasst hatten, um die gesetzliche Hürde der Unabwendbarkeit zu erreichen.


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Welche Rolle spielen Dunkelheit, Alkoholisierung und Geschwindigkeit bei der Haftungsabwägung im Verkehrsrecht?

Bei der juristischen Abwägung von Verkehrsunfällen zählt das Gericht die Faktoren nicht einfach zusammen, sondern gewichtet sie präzise nach ihrem Beitrag zur Schadenswahrscheinlichkeit. Die Alkoholisierung des Fußgängers ist dabei der mit Abstand schwerwiegendste Faktor, da sie Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit praktisch eliminiert. Ein solches Zusammentreffen von Trunkenheit und schlechter Sichtbarkeit auf einer Landstraße führt regelmäßig zu einem massiven Mitverschulden.

Gerichte bezeichnen das Verhalten des Fußgängers als ein „Bündel grober Fahrlässigkeit“, wenn sich ein Mensch stark alkoholisiert und dunkel gekleidet verkehrswidrig auf einer außerörtlichen Straße bewegt. Diese Kombination macht den Unfall wesentlich wahrscheinlicher und überträgt die Hauptverantwortung auf den Fußgänger. Im Fall des Landgerichts Lüneburg überwog dieses grobe Eigenverschulden mit 2/3 die grundsätzliche Betriebsgefahr des Fahrzeugs deutlich, weil der Fußgänger die gefährliche Situation überhaupt erst schuf.

Auf der Seite des Fahrers wird die Geschwindigkeit nicht nur am geltenden Limit gemessen. Entscheidend ist die vom Sachverständigen berechnete Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit. Lag die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit nur geringfügig darüber, begründet dies ein Rest-Verschulden des Fahrers. Selbst ein nur kleiner Vorwurf gegen den Fahrer, kombiniert mit der unvermeidlichen Betriebsgefahr seines Autos, resultiert in einer Teilhaftung, die im Beispielfall 1/3 betrug.

Das Gericht wendet keine starren Schemata an; listen Sie stets den genauen Blutalkoholwert, die Beleuchtungssituation und die Art der Kleidung detailliert auf, da nur das konkrete Zusammentreffen aller Umstände die Haftung abwägt.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Betriebsgefahr

Die Betriebsgefahr beschreibt die verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters für alle Schäden, die sich aus der bloßen Nutzung eines Kraftfahrzeugs ergeben. Das Gesetz in § 7 StVG begründet diese Haftung allein aus der Tatsache, dass ein Auto eine latente Gefahrenquelle darstellt und damit ein gewisses Restrisiko in den Verkehr eingebracht wird.
Beispiel: Im vorliegenden Fall haftete der Autofahrer aufgrund der Betriebsgefahr noch zu einem Drittel am Schaden, obwohl ihn persönlich kein schwerwiegendes Fehlverhalten im Sinne der Überschreitung des Tempolimits traf.

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Grobe Fahrlässigkeit

Juristen sprechen von Grober Fahrlässigkeit, wenn eine Person die im Verkehr erforderliche Sorgfaltspflicht in einem besonders schweren Maße verletzt und dabei elementare, jedem einleuchtende Überlegungen missachtet. Dieses Qualifikationsmerkmal verschärft die Schuldzuweisung erheblich, denn es wird verwendet, um den Verursachungsbeitrag einer Partei bei der Haftungsabwägung stark zu gewichten.
Beispiel: Das Landgericht Lüneburg stufte das Verhalten des stark alkoholisierten Fußgängers, der dunkel gekleidet nachts eine Landstraße betrat, als ein Bündel grober Fahrlässigkeit ein.

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Haftungsquote

Die Haftungsquote ist ein prozentuales oder anteiliges Verhältnis, das Gerichte festlegen, um die Verantwortung für einen entstandenen Schaden zwischen den beteiligten Parteien gerecht aufzuteilen. Dieser Ausgleich stellt sicher, dass jede Seite nur in dem Umfang für den Schaden aufkommen muss, in dem sie ihn auch tatsächlich verursacht hat.
Beispiel: Nachdem die Richter die Beiträge beider Seiten abgewogen hatten, legten sie eine Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 fest, wodurch die Klägerin nur ein Drittel des Gesamtschadens ersetzt bekam.

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Hinterbliebenengeld

Beim Hinterbliebenengeld handelt es sich um einen seit 2017 bestehenden eigenen Geldanspruch naher Angehöriger, der das seelische Leid (Trauer und Schmerz) entschädigt, das durch den tödlichen Unfall eines geliebten Menschen entsteht. Der Anspruch nach § 844 Abs. 3 BGB soll den Schmerz anerkennen und den Angehörigen eine gewisse Genugtuung für den Verlust verschaffen, unabhängig von den materiellen Schäden.
Beispiel: Die Mutter forderte im Prozess 10.000 Euro Hinterbliebenengeld für das tiefe Leid, das durch den Tod ihres Sohnes verursacht wurde.

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Mitverschulden

Das Prinzip des Mitverschuldens (§ 254 BGB) besagt, dass der Schadensersatzanspruch gekürzt wird, wenn der Geschädigte selbst durch eigenes, fehlerhaftes Verhalten zur Entstehung oder Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Das Gesetz verfolgt damit das Ziel der gerechten Schadensverteilung: Wer eine Gefahr selbst erhöht hat, kann nicht den vollen Ersatz vom Unfallgegner verlangen.
Beispiel: Das Gericht rechnete der Mutter das Mitverschulden des Verstorbenen an, da dieser durch seine Alkoholisierung und die geringe Sichtbarkeit den Unfall maßgeblich wahrscheinlicher gemacht hatte.

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Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit

Die Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit ist der Wert, den Sachverständige im Verkehrsrecht berechnen, um festzustellen, wie schnell ein Fahrer maximal hätte fahren dürfen, um einen Zusammenstoß unter den gegebenen Umständen gerade noch zu verhindern. Dieser technische Wert dient als Messlatte zur Beurteilung, ob der Fahrer seine Geschwindigkeit den konkreten Sicht- und Gefahrenverhältnissen angepasst hatte, und begründet ein eventuelles Restverschulden.
Beispiel: Da die errechnete Vermeidbarkeitsgeschwindigkeit im Gutachten (47 bis 54 km/h) niedriger lag als die tatsächliche Geschwindigkeit des Beklagten, konnte dem Autofahrer trotz des groben Eigenverschuldens des Fußgängers eine Teilverantwortung zugewiesen werden.

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Das vorliegende Urteil


Landgericht Lüneburg – Az.: 5 O 315/23 – Urteil vom 21.05.2024,


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