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Verkehrsunfall bei Befahren des Seitenstreifens einer Bundesautobahn

Das Landgericht Fulda hat entschieden, dass der Beklagte voll haftbar ist für den Schaden, der durch den Unfall auf der Autobahn 5 entstanden ist. Die Missachtung des Seitenstreifens durch den Fahrer des Sattelzugs führt zur vollen Haftung für die entstandenen Schäden. Dieser Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung wiegt schwerer als die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 O 56/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Vollständige Haftung des Beklagten für den Verkehrsunfall, da der Fahrer des ausländischen Sattelzugs den Seitenstreifen widerrechtlich befahren und den Unfall damit allein verursacht hat.
  • Das erhebliche Verschulden des Unfallgegners durch diesen schwerwiegenden Verkehrsverstoß überwiegt die mögliche Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs.
  • Der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz gemäß § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG gegen den Beklagten als quasi-Haftpflichtversicherer ist zu 100% begründet.
  • Keine Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Reparaturkosten und sonstigen geltend gemachten Schadenspositionen.
  • Bestätigung des Versäumnisurteils: Beklagter muss an die Klägerin 6.225,23 € nebst Zinsen zahlen.
  • Vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120%.

Verkehrsunfall auf Autobahn: Seitenstreifen-Missachtung führt zu Haftung

Verkehrsunfall Autobahn
(Symbolfoto: Jakob Berg /Shutterstock.com)

Der Straßenverkehr ist ein wichtiger Teil unseres Alltags. Täglich nutzen Millionen Menschen Autos, Motorräder, Lastwagen und andere Fahrzeuge, um von A nach B zu gelangen. Dabei müssen viele Regeln und Gesetze beachtet werden, um einen sicheren und reibungslosen Verkehrsablauf zu gewährleisten. Leider kommt es dennoch immer wieder zu Unfällen, die oft schwerwiegende Konsequenzen haben.

Ein häufiger Auslöser von Verkehrsunfällen ist das Missachten von Verkehrsregeln. Ein Beispiel dafür ist das widerrechtliche Befahren des Seitenstreifens auf Autobahnen. Obwohl der Seitenstreifen eigentlich nur für Notfälle vorgesehen ist, nutzen manche Fahrer ihn, um schneller voranzukommen. Dies kann jedoch zu gefährlichen Situationen und Zusammenstößen mit anderen Verkehrsteilnehmern führen.

In einem aktuellen Gerichtsurteil geht es um genau einen solchen Fall – einen Verkehrsunfall, der sich aufgrund der unrechtmäßigen Nutzung des Seitenstreifens auf einer Bundesautobahn ereignet hat. Das Urteil zeigt, welche rechtlichen Konsequenzen ein solches Fehlverhalten im Straßenverkehr haben kann.

Der Fall vor dem Landgericht Fulda im Detail

Unfall auf der Autobahn: Missachtung des Seitenstreifens führt zur Haftung

In dem vorliegenden Fall vor dem Landgericht Fulda (Az.: 3 O 56/23) ging es um einen Verkehrsunfall auf der Bundesautobahn 5.

Die Klägerin verlangte Schadensersatz von der Beklagten, nachdem ihr Fahrzeug bei der Ausfahrt von einem Parkplatz von einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Sattelzug beschädigt worden war. Der Fahrer des Sattelzugs hatte den Seitenstreifen regelwidrig benutzt, um schneller voranzukommen und war dabei mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidiert. Die Klägerin behauptete, dass der Unfall allein durch den Fahrer des bei der Beklagten quasi-haftpflichtversicherten Sattelzugs verursacht worden sei.

Abwägung der Verursachungsbeiträge: Schwerwiegendes Verschulden des LKW – Fahrers

Die zentrale Frage in diesem Fall war die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge. Das Gericht musste prüfen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei spielten die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs sowie der Grad des Verschuldens des Fahrers des Sattelzugs eine wichtige Rolle.

Beweisaufnahme und Feststellung des Unfallhergangs

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen, welcher der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs war. Seine Angaben wurden als glaubhaft und nachvollziehbar bewertet.

Zudem bestätigten die polizeilichen Ermittlungsakten, dass der Fahrer des Sattelzugs den Unfallhergang bei den unfallaufnehmenden Polizeibeamten selbst so eingestanden hatte.

Entscheidung: Volle Haftung des Beklagten

Das Landgericht Fulda entschied, dass die Beklagte dem Kläger alle entstandenen Schäden in Höhe von 6.225,23 € nebst Zinsen zu ersetzen hat. Die Begründung des Gerichts stützte sich auf folgende Aspekte:

  • Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung: Der Fahrer des Sattelzugs hatte den Seitenstreifen der Autobahn befahren, obwohl rechtfertigende Gründe hierfür nicht vorlagen. Er hatte somit gegen § 2 Abs. 1 StVO verstoßen und sich somit ein schwerwiegendes und vorsätzliches Verschulden zu Schulden kommen lassen.
  • Abwägung der Verursachungsbeiträge: Obgleich auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zu berücksichtigen sei, so trete diese hinter dem gewichtigen Verschulden des Fahrers des Sattelzugs zurück.
  • Kein Nachweis der Unabwendbarkeit: Weder der Kläger noch die Beklagte konnten den Nachweis einer Unabwendbarkeit des Unfalls führen.
  • Beweislast: Da der Beklagte keine substantiierten Einwendungen gegen die geltend gemachten Schadenspositionen erhoben hatte, war er zur Erstattung der vollen Summe zu verurteilen.
  • Versäumnisurteil: Das Gericht bestätigte das zuvor erlassene Versäumnisurteil gegen den Beklagten.

✔ FAQ zum Thema: Verkehrsunfall auf Autobahn


Was sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn ein Fahrer den Seitenstreifen einer Autobahn unbefugt benutzt?

Das unbefugte Befahren des Seitenstreifens auf der Autobahn stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld von mindestens 55 Euro geahndet werden. Wird der Seitenstreifen benutzt, um schneller voranzukommen, drohen sogar 75 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg. Bei Gefährdung anderer erhöht sich das Bußgeld auf 90 Euro.

Kommt es durch das verbotswidrige Befahren des Seitenstreifens zu einem Unfall, muss der Verursacher mit einer erheblichen Mithaftung rechnen, auch wenn der andere Unfallbeteiligte ebenfalls einen Fehler gemacht hat. Dies zeigt ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken, bei dem ein Kleintransporter auf dem Standstreifen an einem Lkw vorbeifuhr und es zur Kollision kam. Das Gericht sah darin entweder einen Verstoß gegen das Fahrbahnbenutzungsverbot (§ 2 Abs. 1 S. 2 StVO) oder ein zu schnelles Fahren auf dem Ausfädelungsstreifen entgegen § 7a Abs. 3 S. 1 StVO. Dieser Verkehrsverstoß wurde als unfallursächlich gewertet.

Der Seitenstreifen darf nur in Ausnahmefällen befahren werden, etwa bei einer Aufforderung durch die Polizei, bei Baustellenverkehr mit entsprechender Beschilderung oder für Reinigungsarbeiten durch die Autobahnmeisterei. Ansonsten ist das Befahren verboten, um den Seitenstreifen für Notfälle wie Pannen oder Unfälle freizuhalten.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 2 Abs. 1 StVO: Dieser Paragraph regelt die Benutzung der Fahrbahnen durch Fahrzeuge. Die Nutzung des Seitenstreifens durch den Sattelzugfahrer, ohne dass ein rechtfertigender Grund vorlag, stellt einen Verstoß gegen diese Vorschrift dar. Dies ist entscheidend, da der Verstoß eine Haftungsgrundlage für die dadurch entstandenen Schäden bildet.
  • § 7 StVG: Nach diesem Gesetz haften der Halter eines Fahrzeugs und die Versicherung bei Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs entstanden sind. Dies ist relevant, weil die Klägerin Schadensersatzansprüche geltend macht, die aus der Betriebsgefahr des von der Beklagten versicherten Fahrzeugs resultieren.
  • § 115 VVG: Er regelt die direkte Anspruchsmöglichkeit eines Geschädigten gegenüber dem Versicherer des Schädigers bei Verkehrsunfällen. Der Beklagte wird hier als quasi-Haftpflichtversicherer behandelt, wodurch die Klägerin direkt Ansprüche gegen ihn geltend machen kann.
  • § 17 StVG: Diese Vorschrift ist wichtig für die Abwägung der Verursachungsbeiträge bei Schäden, die aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Im konkreten Fall war die Schuldabwägung zentral, da sowohl die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs als auch das Fehlverhalten des Fahrers des Sattelzuges zu berücksichtigen waren.
  • § 286 BGB: Dieser Paragraph beschreibt die Bedingungen für den Schuldnerverzug. Im vorliegenden Fall begründet er die Verzinsung der Forderung, nachdem der Beklagte nicht fristgerecht auf die Forderungen reagiert hat und somit in Verzug geraten ist.


➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Fulda

LG Fulda – Az.: 3 O 56/23 – Urteil vom 27.10.2023

1. Das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 bleibt aufrechterhalten.

2. Der Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wobei die vorläufige Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages fortgesetzt werden darf.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 16.02.2023 geltend.

Der durch den Mitarbeiter der Klägerin, den Z. … gesteuerte Pkw VW Golf VII Variant (grau) mit dem amtlichen Kennzeichen … war an vorgenanntem Tag auf der BAB 5 in Fahrtrichtung Süd bei … B. am H. auf Höhe des Parkplatzes F. in einen Verkehrsunfall mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … (Niederlande), bestehend aus einer Zugmaschine und einem Anhänger, verwickelt. Der Unfallhergang ist streitig.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.03.2023 übersandte die Klägerin Unterlagen zum Unfallort und zur Aufnahme des Unfalls. Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.03.2023 übersandte die Klägerin das Aktenzeichen der ermittelnden Polizeiautobahnstation B. H. und teilte mit, dass das geschädigte Fahrzeug im Eigentum der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin stand.

Der Unfall wurde durch die Polizeiautobahnstation B. H. aufgenommen. Das Regierungspräsidium K. verhängte in dem Bußgeldverfahren mit dem Aktenzeichen 132.014620.4 am 03.05.2023 eine Geldbuße von 105 € gegen den Fahrer des in den Niederlanden zugelassenen Gespanns, …. Der Vorwurf lautete:

„Sie benutzten den Seitenstreifen m Zweck des schnelleren Vorwärtskommens. Es kam zum Unfall ……. Beweismittel: Ihre Angaben“

Die Geldbuße ist bezahlt.

Der Beklagte übernimmt die Schadensregulierung und die Pflichten eines Haftpflichtversicherers für das ausländische Fahrzeug, welches in Deutschland in einen Verkehrsunfall verwickelt ist. Der Beklagte kann verklagt werden und ist nach § 6 Abs. 1 AuslPflVG i.V.m. § 115 VVG passivlegitimiert.

Die Klägerin meldete Ansprüche mit anwaltlichem Schreiben vom 28.02.2023 erfolglos zur Regulierung an. Die Klägerin erweiterte ihre Ansprüche mit anwaltlichem Schreiben vom 03.03.2023. Eine letzte bis zum 04.05.2023 gesetzte Frist lief ab, ohne dass Zahlung erfolgte.

Die Klägerin behauptet, das vom Zeugen … gesteuerte Fahrzeug habe in ihrem Eigentum gestanden. Der Unfall vom 16.02.2023 sei allein schuldhaft durch den Fahrzeugführer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen (Niederlande) verursacht worden.

Der Fahrzeugführer der Sattelzugmaschine sei an dem Parkplatz F. auf dem Seitenstreifen vorbeigefahren. Der Mitarbeiter der Klägerin, der Zeuge … habe nach dem Verlassen des Parkplatzes den Beschleunigungsstreifen befahren und habe in den fließenden Verkehr einscheren wollen, als es zur Kollision mit der von hinten heranfahrenden Sattelzugmaschine gekommen sei. Durch das Unfallereignis sei am Fahrzeug der Klägerin erheblicher Sachschaden eingetreten. Die Klägerin habe das Fahrzeug nach Maßgabe des Gutachtens des Kfz-Sachverständigenbüros … reparieren lassen. Hierüber verhalte sich die in Ablichtung als Anlage K 3 beigefügte Reparaturkostenrechnung des … in Höhe von 4.757,02 € netto.

Die in Rechnung gestellten Gebühren für das Gutachten beliefen sich auf 791,20 € netto (Anlage K2 – Bl. 35 d. A.).

Die Klägerin sei unfallbedingt in der Zeit vom Unfalltag am 16.02.2023 bis zum 24.02.2023 auf die Nutzung eines Mietwagens angewiesen gewesen. Hierüber verhalte sich die in Ablichtung als Anlage K 4 (Bl. 39 d. A.) beigefügte Mietwagenrechnung über 652,01 € netto.

Die ortsübliche und angemessene Kostenpauschale betrage 25 €.

Die Klägerin macht Ansprüche wie folgt geltend:

Reparaturkosten gem. Rechnung 4.757,02 €

Sachverständigengebühren 791,20 €

Mietwagenkosten gem. Rechnung 652,01 €

Kostenpauschale 25,00 €

Gesamtsumme 6.225,23 €

Das Landgericht hat, nachdem der Beklagte im schriftlichen Vorverfahren eine Verteidigungsabsicht nicht fristgerecht angezeigt hat, antragsgemäß unter dem 107.2023 ein Versäumnisurteil erlassen und den Beklagten zur Zahlung von 6.225,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.05.2023 verurteilt.

Gegen das dem Beklagten am 13.07.2023 zugestellte Versäumnisurteil hat dieser mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.07.2023, eingegangen bei dem Landgericht Fulda am 27.07.2023, Einspruch eingelegt.

Die Klägerin beantragt, das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 aufrechtzuerhalten.

Demgegenüber beantragt der Beklagte, das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin, sowie die Ansprüche dem Grunde nach, da die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass die streitgegenständlichen Schäden durch den bei dem Beklagten quasi haftpflichtversicherten PKW mit dem niederländischen Kennzeichen … verursacht worden seien. Das sei grundsätzlich zulässig, da der Beklagte neben dem niederländischen Versicherer, dem niederländischen Fahrzeughalter und dem Fahrzeugführer auch in Anspruch genommen werden könne. Allerdings habe der Beklagte, der selbst kein Versicherer sei und keine Schadenregulierung betreibe, keine versicherungsvertragliche Möglichkeit, den Halter und Versicherungsnehmer zur Abgabe einer Schadenmeldung zu zwingen. Sofort nach Meldung des Schadenfalles habe sich der Beklagte durch seine Regulierungshelferin erfolglos um Aufklärung des Sachverhalts bemüht. Daraufhin sei seitens des niederländischen Versicherers zwar die Deckung, aber nicht die Haftung bestätigt worden, da der niederländische Versicherungsnehmer keine Schadenmeldung abgegeben habe.

Sollte die Klägerin im Rahmen des Verfahrens tatsächlich geeignete Beweise beibringen, welche die Schadenverursachung durch das bei dem Beklagten quasi-haftpflichtversicherte Fahrzeug belegen würden, behalte sich der Beklagte eine Regulierung unter ausdrücklichem Protest gegen die Kostenlast vor.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeug …. Auf die Niederschrift der Vernehmung wird Bezug genommen. Darüber hinaus wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage war in vollem Umfang begründet. Auf den zulässigen Einspruch des Beklagten ist das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 in vollem Umfang zu bestätigen.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG zu. Der Beklagte ist der Klägerin zum Ersatz des Schadens verpflichtet, nachdem der Unfall schuldhaft durch den Fahrzeugführer des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … Niederlande) verursacht worden ist und eine Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs hinter dem schwerwiegenden Verkehrsverstoß der Beklagtenseite und deren gewichtigem Verschulden zurückzutreten hat.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat das Gericht Überzeugung davon gewonnen, dass sich der Unfall, wie in der beigezogenen und zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Akte des Regierungspräsidiums beschrieben, ereignet hat. Dies folgt einmal aus den damit übereinstimmenden, glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Zeugen … bei dem trotz seiner Unfallbeteiligung keine Belastungstendenzen gegenüber dem Beklagten erkennbar waren. Belegt wird der Hergang darüber hinaus aber auch dadurch, dass der Fahrer des niederländischen Zuges selbst dies bei den unfallaufnehmenden Polizeibeamten so eingestanden hat. Damit steht fest, dass der niederländische Sattelzug die BAB 5 aus Richtung K. kommend in Fahrtrichtung F. befuhr und dabei widerrechtlich den Seitenstreifen der zweispurigen Autobahn nutzte. Der Seitenstreifen endete dann auf Höhe des Kilometers 380,000, da an dieser Stelle der Beschleunigungsstreifen des Parkplatzes „F.“ auf die BAB 5 führte. Als der Sattelzug diesen Punkt erreichte, war der Zeuge … dabei, mit seinem Fahrzeug den Parkplatz „F.“ zu verlassen. Er war im Begriff, den Beschleunigungsstreifen auf die BAB 5 in Fahrtrichtung F. zu nutzen, als sich von hinten der Sattelzug mit erheblicher Geschwindigkeit näherte. Es kam zur Kollision zwischen dem Auflieger des Lkws rechtsseitig und dem linken Seitenspiegel des klägerischen Fahrzeugs. Aufgrund des Zusammenstoßes verlor der Zeuge … die Kontrolle über sein Fahrzeug kam nach rechts von der Fahrbahn ab. Dadurch entstand am klägerischen Fahrzeug der geltend gemachte Schaden.

Den Fahrer des Sattelzuges trifft danach ein schuldhafter Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO. Er hat den Seitenstreifen der Autobahn befahren, obwohl rechtfertigende Gründe hierfür nicht vorlagen. Der Seitenstreifen ist als Randstreifen nur für das Halten und Benutzen in Notfällen bestimmt. Er ist für den fließenden Verkehr gesperrt (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., StVO § 5, Rn. 57). Selbst wenn sich auf der gesamten Autobahn ein Stau bildet, rechtfertigt dies nicht die Mitbenutzung des Seitenstreifens.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten als quasi-Haftpflichtversicherer ergibt sich aus den §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Die Schäden sind beim Betrieb des Sattelzuges entstanden. Allerdings haftet auch die Klägerin als Halterin des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs grundsätzlich nach §§ 7 Abs. 1, 17 StVO für die Unfallfolgen. Vorliegend können sich weder der Kläger noch die Beklagte auf den in § 7 Abs. 2 StVG enthaltenen Haftungsausschluss berufen, da sich der Unfall gleichsam aus dem Straßenverkehr heraus ereignet hat und damit keine höhere Gewalt vorliegt. Auch den Nachweis einer Unabwendbarkeit konnte keine der beiden Seiten führen.

Haften dementsprechend grundsätzlich sowohl der Beklagte als auch die Klägerin für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall, so sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen, § 17 Abs. 1 StVG. Im Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadenersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; BGH, Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99; NJW 2000, 3069; Hentschel/König/Dauer, Verkehrsrecht, 40. Auflage, § 17 StVG Rn. 5) sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, das heißt unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein.

Diese Abwägung führt dazu, dass die Beklagte allein für den Schaden der Klägerin haftet. Denn selbst wenn der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den mit erheblicher höherer Geschwindigkeit von hinten herankommenden Sattelzug früher hätte bemerken und als Idealfahrer den Unfall damit hätte verhindern können, wäre dies allein im Rahmen der Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Einer solchen Betriebsgefahr steht dann aber das erhebliche Verschulden des Fahrers des Sattelzuges gegenüber. „Denn auch dann, wenn dem an einem Unfall beteiligten Kläger der Nachweis, dass der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen ist und selbst ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte verhindern können, nicht gelingt, kann hinter dem schwerwiegenden Verkehrsverstoß seines Unfallgegners und dessen gewichtigen Verschulden die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurücktreten. Dies kommt in Betracht, wenn der den Zusammenstoß allein verursachende Unfallgegner gegen das Gebot rechtmäßiger Fahrbahnbenutzung … verstoßen hat (vgl. OLG München, Endurteil vom 30.10.2015 – 10 U 2360/14). Bei der hier vorliegenden unerlaubten Nutzung des Seitenstreifens handelt es sich um einen schwerwiegenden, vorsätzlich begangenen Verkehrsverstoß. Der Fahrer des Sattelzuges hat die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, z.B. auf sich an den Seitenstreifen anschließenden Beschleunigungsstreifen, in Kauf genommen, um selbst schneller voran zu kommen. Gegenüber diesem gewichtigen Verschulden hat selbst die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurückzutreten. Der Beklagte hat die klägerischen Ansprüche zu 100% zu ersetzen.

Anlass, an Ortsüblichkeit und Angemessenheit der Höhe der geltend gemachten Reparaturkosten zu zweifeln, hat sich für die Kammer nicht ergeben. Die Klägerin hat ursprünglich ein Privatgutachten eingeholt und dann die Reparatur durchführen lassen. Anders als zum Hergang des Unfalls wäre es auch dem Beklagten möglich gewesen, zur Abrechnung der Schäden substantiierte Einwendungen zu erheben. Dies hat der Beklagte im Verfahren nicht getan. Er war deshalb ursprünglich antragsgemäß zu verurteilen und in der Folge das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 zu bestätigen.

Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Durch Fristablauf der mit Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 20.04.2023 gesetzten Frist befindet sich der Beklagte spätestens seit dem 05.05.2023 in Verzug gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Das Versäumnisurteil vom 10.07.2023 ist in vollem Umfang zu bestätigen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 3 ZPO.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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