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Auffahrunfall: Anscheinsbeweis bei behauptetem Spurwechsel

LG Fulda, Az: 1 S 91/16, Urteil vom 20.01.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 01.08.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 35,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.08.2015 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 93,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.05.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat 96 %, die Beklagten haben 4 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Auffahrunfall: Anscheinsbeweis bei behauptetem Spurwechsel
Symbolfoto: kung_tom / Bigstock

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers aus einem Verkehrsunfall vom 10.07.2015 am Hattenbacher Dreieck. Der Kläger war am Unfalltag mit seinem PKW, einem 3-er BMW, auf der BAB A 7 in Richtung Süden unterwegs. Gegen 16.00 Uhr kam es zu einem Anstoß zwischen beiden Fahrzeugen auf demselben Fahrstreifen, wobei sich das Klägerfahrzeug vor dem Beklagtenfahrzeug befand. Bei diesem Anstoß wurde das Klägerfahrzeug im linken hinteren Heckbereich und das Beklagtenfahrzeug an der äußeren rechten Fahrzeugfront beschädigt. Laut vom Kläger eingeholtem Sachverständigengutachten betragen die Nettoreparaturkosten 1.274, 88 €. Das Sachverständigengutachten kostete 380,09 €. Ferner beanspruchte der Kläger eine allgemeine Unkostenpauschale von 26,– €. Auf den vom Kläger geltend gemachten Gesamtbetrag von 1.680,97 € erstattete die Beklagte zu 2) am 19.10.2015 einen Betrag in Höhe von 805,05 € auf der Grundlage einer von ihr als angemessen erachteten Mithaftungsquote von 50 %. Den Restbetrag macht der Kläger mit der Klage geltend.

Er hat behauptet, er sei von der dritten Spur nach rechts auf die zweite Spur von rechts gewechselt, habe nach 500 Metern verkehrsbedingt abbremsen müssen, wobei dann das Beklagtenfahrzeug aus Unachtsamkeit und zu geringem Sicherheitsabstand aufgefahren sei. Nach Ansicht des Klägers ergibt sich hieraus, insbesondere unter Berücksichtigung der Grundsätze des Anscheinsbeweises, die Alleinhaftung der Beklagten.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 875,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.08.2015 zu bezahlen, die Beklagten weiter als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 147,56 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit seit dem 11.05.2016 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe die linke Fahrspur in Fahrtrichtung Süden befahren. Sodann sei das Klägerfahrzeug von der zweiten Fahrspur von links kommend herübergewechselt und habe unmittelbar daraufhin stark abgebremst. Trotz Vollbremsung habe der Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall nicht mehr verhindern können, weshalb nach Ansicht der Beklagten sie allenfalls zu 50 % haften.

Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 01.08.2016 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anscheinsbeweis spreche vorliegend gegen die Beklagten. Das Schadensbild belege einen Auffahrunfall. Hierbei sei unbeachtlich, dass sich die Fahrzeugfront des Beklagtenfahrzeugs und das Heck des Klägerfahrzeugs bei Unfallanstoß nicht vollkommen überdeckt hätten, sondern dass hier ein leichter seitlicher Versatz festzustellen sei. Es handele sich jedoch bei dem Klägerfahrzeug eindeutig um einen Heckschaden, beim Beklagtenfahrzeug eindeutig um einen Frontschaden, weshalb hier ein Auffahren des Beklagtenfahrzeugs erfolgt sei und bei einem solchen Auffahrunfall der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden spreche. Hiernach werde davon ausgegangen, dass dieser entweder unaufmerksam gewesen sei oder den gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe und damit allein für den Unfall hafte. Der Anscheinsbeweis greife nur dann nicht ein, wenn aufgrund erwiesener Tatsachen es an einer entsprechenden Typizität der Unfallkonstellation fehle, was u. a. gegeben sei, wenn ein Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden erst wenige Augenblicke vor dem Auffahrunfall sich ereignet habe. Für einen solchen Ausschluss des Anscheinsbeweises sei jedoch der Auffahrende darlegungs- und beweispflichtig. Zwar habe die Beklagtenseite dargelegt, dass das Klägerfahrzeug erst unmittelbar vor dem Auffahrunfall die Fahrspur gewechselt habe, sei hierfür jedoch beweisfällig geblieben. Die beklagtenseits angebotene Vernehmung der eigenen Partei komme nicht in Betracht, weil ein Einverständnis der Klägerseite im Sinne von § 447 ZPO nicht erteilt worden sei und eine Vernehmung von Amts wegen unzulässig sei, da bislang die Beklagtenseite keinen und nicht nur einen nicht ausreichenden Beweis erbracht habe. Die beklagtenseits angeregte Beiziehung der Ermittlungsakte habe im Wege des Urkundsbeweises ergeben, dass auch die Polizei von einem typischen Auffahrunfall ausgegangen sei, da sich im Unfallbericht finde, der Unfall sei vom Beklagten zu 1) dadurch verursacht worden, dass dieser auf das vor ihm fahrende Fahrzeug aufgrund Unaufmerksamkeit sowie zu geringen Sicherheitsabstandes aufgefahren sei.

Auch die beklagtenseits beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens vermöge den beklagtenseits zu führenden Ausschlussbeweis nicht zu erbringen. Das Gericht habe bereits im Verhandlungstermin darauf hingewiesen, es gebe keinerlei objektive Unfallspuren, die vorliegend die Polizei oder andere gesichert hätten. Der Sachverständige könne damit lediglich die Lichtbilder der geschädigten Fahrzeuge heranziehen und anhand dieser Lichtbilder den Anstoßablauf darlegen, jedoch nicht, auf welchen Teilen der Fahrbahn sich dieser Verkehrsunfall ereignet habe. Noch weniger werde er anhand der Unfallbilder feststellen können, dass ein Fahrzeug unmittelbar vor dem Verkehrsunfallgeschehen die Fahrspur gewechselt habe. Insoweit wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach den sich aus zahlreichen anderen Verfahren ergebenden Erfahrungen von vornherein aussichtslos. Es bleibe danach dabei, dass die Beklagtenseite für den Fahrstreifenwechsel der Klägerseite und damit die Aufhebung des Anscheinsbeweises beweisfällig geblieben sei. Demgemäß verbleibe es dabei, das aufgrund des Auffahrunfallgeschehens von einer alleinigen Haftung der Beklagtenseite auszugehen sei und dem Kläger voller Schadensersatz zustehe, dessen Höhe die Beklagten nicht in ausreichend substantiierter Weise bestritten hätten.

Gegen dieses am 08.08.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.02.2016 eingegangene und am 10.10.2016 begründete Berufung, mit der die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgen. Sie rügen, die amtsgerichtliche Entscheidung sei in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen. Ein Anscheinsbeweis sei nur dann anzunehmen, wenn der Lebenssachverhalt eine Typizität erreiche, dass sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdränge, ein Verkehrsteilnehmer habe seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt, wobei allein das „Kerngeschehen“ als solches als Grundlage des Anscheinsbeweises nicht ausreiche, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt seien, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprächen. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch sei, könne nur aufgrund der umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergäben. Das Amtsgericht habe zu Unrecht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagtenseite übergangen, der Fahrspurwechsel des Klägerfahrzeugs sei noch nicht abgeschlossen gewesen, sondern habe vielmehr in unmittelbarem Ursachenzusammenhang mit dem Unfall gestanden und dass bereits die Beschädigungspuren an den beteiligten Fahrzeugen gegen die Typizität des allein schuldhaft verursachten Auffahrunfalls spräche, da lediglich eine minimale Überdeckung der Fahrzeugbreiten von maximal 40 cm vorgelegen habe. Der Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verstoße gegen den zivilprozessualen Grundsatz der Pflicht zur Erschöpfung von Beweismitteln, wonach das Gericht eine Partei nicht als beweisfällig abweisen dürfe, ohne alle angetretenen und tatsächlich angesehenen Beweise zu erheben, soweit nicht ein bestimmter verfahrens- oder beweisrechtlicher Grund zur Ablehnung des Antrags gegeben sei. Dieser Grundsatz gelte auch für Beweisantritte, die gegenbeweislich erfolgten. Die Einschätzung des Amtsgerichts, ein solches Sachverständigengutachten werde ohnehin keinen Erkenntnisgewinn bringen, sei nicht überzeugend. Allein anhand der Fahrzeugbeschädigungen könne der Sachverständige die relative Kollisionsstellung der Fahrzeuge zueinander und die Relativbewegungen der Fahrzeuge zueinander feststellen. Der Sachverständige könne Plausibilitätserwägungen anstellen, die für oder gegen einen Unfall bei Fahrspurwechsel sprächen. Selbst wenn eine solche Beweisaufnahme im Ergebnis ohne klare Antwort bleibe, führe das sich ergebende non liquet mangels Eingreifens einer Anscheinsbeweislage lediglich zu einer Haftungsverteilung von 50 zu 50 und damit angesichts der vorgerichtlich bereits hälftigen Schadensregulierung der Beklagen zu 2) zur Klageabweisung.

Die Beklagten und Berufungskläger beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 01.08.2016, Az.: 10 C 363/16 (70) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Es sei zwar richtig, dass er einige Zeit vor dem Unfallereignis die Fahrspur gewechselt habe, doch sei er von der sich links neben der dritten Fahrspur befindlichen Spur auf die dritte Fahrspur nach rechts gewechselt, wobei sich bereits aus dem Schadensbild ergebe, dass der Spurwechsel bereits vollständig abgeschlossen gewesen sei. Der Schaden am klägerischen Fahrzeug sei hinten links, wobei bei einem Unfall aufgrund eines Spurwechsels von links nach rechts der Schaden an der rechten Seite des Fahrzeugs zu sehen sein müsste. Der Schaden sei nicht absolut frontal am hinteren Fahrzeug entstanden, weil der Beklagte zu 1) noch im letzten Moment versucht habe, nach links auszuweichen. Während beklagtenseits in der Klageerwiderung noch vorgetragen worden sei, das Fahrzeug des Klägers sei von links nach rechts auf die Spur des Beklagten zu 1) gewechselt, werde jetzt erstmals beklagtenseits behauptet, dass Klägerfahrzeug sei von der rechten Spur auf die linke Spur gewechselt, was unzutreffend sei (Beweis: Parteivernahme des Klägers). Dieser widersprüchliche Vortrag zeige, dass man beklagtenseits mit allen Mitteln versuche, eine Kollision während eines Spurwechsels zu konstruieren. Das Amtsgericht sei zu Recht von einer Anscheinsbeweislage zu Lasten der Beklagten ausgegangen. Aufgrund des Schadensbildes, des widersprüchlichen Beklagtenvortrags und der Verkehrsunfallanzeige sei von einer Anscheinsbeweislage auszugehen.

Die Kammer hat zum Unfallhergang den Kläger und den Beklagten zu 1) im Termin am 16.12.2016 informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.12.2016 (dort S. 1 f, Bl. 114 d. A.) verwiesen.

Die Akte des wegen des streitgegenständlichen Unfalls geführten Verfahrens des Polizeipräsidiums Osthessen, Aktenzeichen: VU/XXX, wurde zu Informationszwecken beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Beweisantritte wird auf den gesamten Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache überwiegend Erfolg, weil dem Kläger unter Berücksichtigung der bereits vorgerichtlich von der Beklagten zu 2) geleisteten anteiligen Regulierung in Höhe von 805,05 € gem. §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 823 Abs.1 BGB, bezüglich der Beklagten zu 2) i. V. m. § 115 Abs. 1 Ziff. 1 VVG, gegen die Beklagten als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) lediglich noch ein Anspruch auf Ersatz weiteren materiellen Schadens in Höhe von 35,44 € zusteht, während im Hauptantrag sich die Klage ansonsten als unbegründet erweist. Dies ergibt sich daraus, dass vorliegend infolge Unaufklärbarkeit des genauen Unfallhergangs von einer hälftigen Schadensteilung zwischen den Unfallbeteiligten dem Grunde nach auszugehen ist, da insbesondere eine Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises weder zugunsten der einen noch zu Gunsten der anderen Seite in Betracht kommt.

Die Kammer folgt insoweit der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil des BGH vom 13.12.2011, VI ZR 177/10, dort Rn. 11 zit. nach juris), wonach bei Anwendung des Anscheinsbeweises grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist und diese nur in Betracht kommt, wenn das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür ist, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet wird, schuldhaft gehandelt hat. Dem Bundesgerichtshof zufolge liegt eine solche Typizität regelmäßig dann nicht vor, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahrunfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist und sowohl die Möglichkeit besteht, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO den Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat als auch die Möglichkeit, dass der Auffahrunfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers zurückzuführen ist. In diesen Fällen kann regelmäßig keine der beiden Varianten alleine als der typische Geschehensablauf angesehen werden, der zur Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten eines der Beteiligten führt (BGH, a. a. O.). So liegt es hier: zwar ist unstreitig, dass es am 10.07.2015 zwischen den vom Kläger und dem Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeugen zu einem Anstoß dergestalt kam, dass das Klägerfahrzeug am linken hinteren Heckbereich, das Beklagtenfahrzeug an der äußeren rechten Fahrzeugfront beschädigt wurde. Eine nähere Aufklärung des Unfallhergangs ist jedoch nicht möglich: Zeugen für die Bestätigung der einen oder der anderen Unfallversion stehen nicht zur Verfügung. Die persönliche informatorische Anhörung der beiden Unfallbeteiligten, nämlich des Klägers und des Beklagten zu 1), im Termin am 16.12.2016 hat ebenfalls nicht klären können, welche der beiden unterschiedlichen Unfallversionen zutrifft, da die Beteiligten in ihrer jeweiligen Aussage den bereits schriftsätzlich geleisteten Vortrag jeweils bestätigt haben. So hat sich dem Kläger zufolge der Unfall dergestalt ereignet, dass er, der Kläger, zwar einen Spurwechsel durchgeführt hatte, indes dieser Spurwechsel bereits abgeschlossen war und der Kläger erst nach etwa 500 Metern bremste, als die Fahrzeuge vor ihm langsamer wurden. Erst sodann sei es zum Aufprall durch das Fahrzeug der Beklagten gekommen, d. h. erst nach dem bereits abgeschlossenen Spurwechsel und der begonnenen Geradeausfahrt des Klägers. Sollte diese Version zutreffen, läge in der Tat ein „klassischer“ Auffahrunfall vor, bei dem von einem Verschulden des Beklagten zu 1) auszugehen wäre, da er entweder infolge unzureichenden Sicherheitsabstands, mangelnder Aufmerksamkeit oder unangepasster Geschwindigkeit dem bereits seit ca. 500 Metern nach abgeschlossenem Spurwechsel in Geradeausfahrt befindlichen Kläger aufgefahren wäre.

Indes hat der Beklagte zu 1) in seiner informatorischen Anhörung vor der Kammer den Unfallhergang gerade umgekehrt geschildert, indem er ausgeführt hat, er selbst sei im Hinblick auf den stockenden Verkehr mit einer Geschwindigkeit von unter 70 km/h gefahren, woraufhin dann der auf der Spur rechts von seinem Fahrzeug fahrende PKW des Klägers nach links auf seine Fahrspur gewechselt sei und direkt vor seinem Fahrzeug in seine, des Beklagten zu 1), Spur gewechselt sei, weshalb dieser den Aufprall nicht habe vermeiden können. Der Unfall sei versetzt geschehen, rechts vorne bei dem Beklagtenfahrzeug und hinten links bei dem Fahrzeug des Klägers, wobei letzterer sich nicht in Schrägstellung befunden habe (S. 2 des Sitzungsprotokolls vom 16.12.16, Bl. 115 d. A.). Sollte diese Unfallschilderung des Beklagten zu 1) zutreffen, so hätte der Kläger bei seinem unmittelbar vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) erfolgenden Fahrspurwechsel gegen seine Verpflichtungen aus § 7 Abs. 5 StVO verstoßen und sich der Beklagte als auffahrender Fahrzeugführer nicht mehr auf die unmittelbar vorangegangene Fahrbewegung des Klägers einstellen und den Sicherheitsabstand einhalten können, was in diesem Falle eine volle Haftung des Klägers rechtfertigen würde.

Die jeweils für sich betrachtet detaillierten und in sich stimmigen und damit glaubhaften, jedoch einander widersprechenden Unfallschilderungen der beiden Unfallbeteiligten, d. h. d. Klägers und des Beklagten zu 1), erlauben es der Kammer nicht, festzustellen, welche der beiden Unfallschilderungen zutreffend ist und welche nicht. Zeugenaussagen stehen, wie ausgeführt, zur Klärung des Unfallhergangs jedenfalls nicht zur Verfügung. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre vorliegend kein geeignetes Beweismittel zur näheren Aufklärung des Unfallhergangs. Insoweit hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass einem Sachverständigen keinerlei objektive Unfallspuren zur Verfügung stünden, die polizeilich oder anderweitig gesichert wurden, sondern dass er lediglich über die Lichtbilder der geschädigten Fahrzeuge verfügte, an deren Hand er zwar den Anstoßablauf darlegen könnte, jedoch nicht, auf welchem Teil der Fahrbahn sich der Unfall ereignete. Noch weniger kann, worauf das Amtsgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, der Sachverständige anhand der Unfallbilder feststellen, ob das Fahrzeug des Klägers sich zum Zeitpunkt der Kollision bereits seit geraumer Zeit in Geradeausfahrt befand (so der Kläger) oder aber unmittelbar vor dem Fahrzeug des Beklagten die Spur wechselte (so die Beklagten). Unstreitig stellen sich die Beschädigungsmuster an den beiden Fahrzeugen so dar, dass das Klägerfahrzeug im linken hinteren Heckbereich und das Beklagtenfahrzeug an der äußeren rechten Fahrzeugfront beschädigt wurde. Diese Beschädigungsmuster sind aber nicht nur mit der klägerischen Unfallversion in Einklang zu bringen, wonach sich die Kollision bei Geradeausfahrt beider Fahrzeuge ereignete, was ohne weiteres einen versetzt erfolgenden Aufprall, der zu den vorstehenden Beschädigungsmustern führte, erlaubte. Das vorbezeichnete unstreitige Beschädigungsmuster, wie es auch durch die Lichtbilder dokumentiert wird, ist auch kompatibel mit der Unfallschilderung des Beklagten zu 1), wonach der Kläger zwar direkt vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) die Spur wechselte und dieser den Aufprall deshalb nicht mehr vermeiden konnte, der Unfall dann aber versetzt geschah, rechts vorne beim Beklagten zu 1) und hinten links bei dem BMW des Klägers, ohne das letzterer sich da in Schrägstellung befunden habe (auf S. 2 des Sitzungsprotokolls vom 16.12.2016, Bl. 115 d. A.). Letzteres war durchaus möglich, denn der Kläger kann unmittelbar vor dem Beklagten zu 1) die Spur gewechselt haben, so dass dieser nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, jedoch gerade bei einem sehr schnellen Spurwechsel zum Zeitpunkt der Kollision seinen Spurwechsel schon abgeschlossen haben und sich bereits wieder in Geradeausfahrt befunden haben.

Verspricht danach auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens keine nähere Aufklärung des Unfallhergangs, so erlaubt schließlich auch die Bewertung des Unfallgeschehens in der polizeilichen Ermittlungsakte keine nähere Aufklärung. Zwar wird dort ausgeführt, O 2 (der Kläger) habe den dritten Fahrstreifen befahren; als er verkehrsbedingt (Stau) habe anhalten müssen, sei O 1 (der Beklagte zu 1), dahinterfahrend, aufgrund von Unachtsamkeit und zu geringem Sicherheitsabstand auf den PKW von O 2 (des Klägers) aufgefahren. Indes spiegelt sich hierin lediglich die Bewertung des Unfallgeschehens durch die aufnehmenden Polizeibeamten vor Ort im Sinne eines „klassischen“ Auffahrunfalls wider, die indes nicht näher durch weitere Fakten, insbesondere die Vernehmung von Zeugen oder eine gutachterliche Einschätzung untermauert ist. Aus diesem Grunde hilft letztlich auch diese vor Ort durch die Polizei vorgenommene vorläufige Bewertung des Unfallgeschehens, welche dann in die Verhängung eines Verwarnungsgeldes in Höhe von 35,– € gegen den Beklagten zu 1) mündete, nicht bei der Aufklärung des Unfallhergangs. Auch aus der Akzeptanz des Verwarnungsgeldes durch den Beklagten zu 1) kann kein Schuldeingeständnis gefolgert werden, zumal die Entscheidung, das Verwarnungsgeld hinzunehmen, durchaus auf der Einschüchterung durch die Situation vor Ort oder auf der Überlegung beruht haben mag, weitere im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens oder gar eines Strafverfahrenes drohende Unannehmlichkeiten vermeiden zu wollen.

Erweist sich danach der Unfallhergang auch nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten, insbesondere durch die vom Berufungsgericht nachgeholte persönliche Anhörung der Unfallbeteiligten, als unaufklärbar, so rechtfertigt dies dem Grunde nach eine hälftige Schadensteilung. Der Schaden des Klägers beläuft sich, wie in der Klageschrift (dort S. 4) nachvollziehbar dargelegt und beklagtenseits nicht substantiiert bestritten, auf insgesamt 1.680,97 € (Reparaturkosten laut Sachverständigengutachten von 1.274,88 €, Sachverständigenkosten von 380,09 € und allgemeine Unkostenpauschale von 26,– €), wobei die Hälfte dieses Betrages 840,49 € beträgt. In Höhe eines Teilbetrages von 805,05 € ist der dem Kläger insgesamt zustehende Schadensersatzanspruch in Höhe von 840,49 € aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, bezüglich der Beklagten zu 1) i. V. m. § 115 Abs. 1 Ziff. 1 VVG indes durch die seitens der Beklagten zu 1) vorgenommene Regulierung in Höhe von 805,05 € bereits durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen, weshalb dem Kläger lediglich noch ein weiterer Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 35,44 € zusteht. Soweit die Beklagten zu Zahlung dieses Betrages an den Kläger verurteilt worden sind, war das erstinstanzliche Urteil daher unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten zu bestätigen, während es bezüglich des Hauptantrags ansonsten unter der Abweisung der Klage im Übrigen abzuändern war.

Unter dem Gesichtspunkt der Verzugszinsen (§§ 280 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB) ist der dem Kläger noch zustehende Betrag von 35,44 € seit vergeblicher Anmahnung mit Anwaltschreiben vom 20.07.2015 unter Setzung einer angemessenen Regulierungsfrist zum 10.08.2015, d. h. seit dem 11.08.2015, mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen, während ein weitergehender Zinsanspruch bezüglich der im Hauptantrag geltend gemachten Zahlungsansprüche des Klägers mangels weitergehenden Hauptanspruchs nicht besteht.

Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) kann der Kläger Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von bis zu 500,– € in Höhe einer 1,3-Gebühr aus 45,– €, d. h. in Höhe von 58,50 € netto, verlangen, wozu dann noch eine Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) in Höhe von 20,– € kommt, woraus sich ein Gesamtbetrag von 78,50 € netto und damit von 93,42 € brutto errechnet. Diesen Betrag haben die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB) mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit am 11.05.2016 durch Klagezustellung eingetretener Rechtshängigkeit, d. h. seit dem 12.05.2016, zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10 S. 1 und 2, 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

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