Skip to content
Menü

Verkehrsunfall mit Mähdrescher – Haftung von Fahrer und Betriebsinhaber

Oberlandesgericht Hamm

Az.: 9 U 17/13

Urteil vom 12.07.2013

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22.11.2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (Az.: 03 O 266/11) – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.531,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.08.2011 abzüglich des gemäß Abrechnungsschreiben vom 12.04.2013 von dem M als Haftpflichtversicherer gezahlten Betrages in Höhe von 1.287,89 € sowie 13.333,00 € abzüglich des gemäß Abrechnungsschreiben vom 12.04.2013 von dem M als Haftpflichtversicherer gezahlten Betrages in Höhe von 10.000,00 € zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger – unter Berücksichtigung eines zurechenbaren Eigenverschuldens bzw. Mitverschuldens von 1/3 – sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die seinem Sohn X, geb. am ##.##.1991, in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 14.08.2010 in M-J entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers 1. Instanz tragen der Kläger zu 56 % und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 44 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) 1. Instanz tragen der Kläger zu 33 % und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 67 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) 1. Instanz trägt der Kläger.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers 2. Instanz tragen der Kläger zu 67 %, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 13 % und der Beklagte zu 2) allein zu weiteren 20 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) 2. Instanz tragen der Kläger zu 67 % und der Beklagte zu 1) zu 33 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) 2. Instanz tragen der Kläger zu 33 % und der Beklagte zu 2) zu 67 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) 2. Instanz trägt der Kläger.

Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus eigenem und aus abgetretenem Recht seines Sohnes – des Zeugen X – aufgrund eines Unfalls, der sich am 14.08.2010 auf der H-Straße (K 13) zwischen den Ortschaften H und J ereignete.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 107ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung der Parteien, Vernehmung der Zeugen X, L und O sowie Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. y nebst mündlicher Erläuterung in vollem Umfang stattgegeben.

Die Haftung des Beklagte zu 1) hat das Landgericht auf § 18 Abs. 1 StVG, die des Beklagten zu 2) auf 7 Abs. 1 StVG und die des Beklagten zu 3) auf § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG gestützt. Die gemäß § 17 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führe zu einer vollen Haftung der Beklagten. Dem Beklagten zu 1) seien sowohl ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO als auch ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO vorzuwerfen. Offen gelassen hat das Landgericht, ob dem Zeugen X seinerseits ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO vorzuwerfen ist. Nach der Rechtsauffassung des Landgerichts würden die insoweit allenfalls geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 km/h sowie die Betriebsgefahr des Leichtkraftrades jedenfalls vollständig hinter die Verursachungsbeiträge der Beklagten zurücktreten. Das gelte insbesondere auch, weil die Betriebsgefahr des Mähdreschers in der konkreten Situation stark erhöht gewesen sei.

Gegen die landgerichtliche Entscheidung haben alle Beklagten Berufung eingelegt, die Beklagten zu 2) und 3) mit dem Ziel der Abweisung der gegen sie gerichteten Klage unter Hinweis auf die Ausnahmevorschrift des § 8 Nr. 1 StVG, der Beklagte zu 1) mit dem Ziel einer Abänderung, soweit das Landgericht seine Haftung zu mehr als 50 % angenommen hat.

Daraufhin hat der Kläger die Klage gegen den Beklagten zu 3) mit dessen Zustimmung zurückgenommen.

Die danach noch verbleibenden Beklagten zu 1) und 2) sind der Ansicht, dass die Entscheidung des Landgerichts bereits deshalb unzutreffend sei, weil die vom Landgericht als Anspruchsgrundlage gegen den Beklagten zu 2) angenommene Vorschrift des § 7 StVG gemäß § 8 Nr. 1 StVG auf den Mähdrescher, der unstreitig nicht schneller als 20 km/h fahre, nicht anwendbar sei.

Im Hinblick auf den Beklagten zu 1) sei das Landgericht unzutreffend von einer vollen Haftung ausgegangen. Aufgrund des Mitverschuldens des Zeugen X bestehe eine Haftung des Beklagten zu 1) allenfalls in Höhe von 50 %. Dem Zeugen X sei ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO und gegen § 3 Abs. 1 S. 5 StVO vorzuwerfen. Dazu behaupten die Beklagten, dass sich aus der Anlage B 9 zum Gutachten des Sachverständigen Prof. y eine Sichtweite von 130 bis 150 m für den Zeugen X ergebe. Selbst wenn die Bäume zur Zeit des Unfalls – anders als auf diesem Foto – begrünt gewesen sein sollten, sei zu berücksichtigen, dass der Zeuge X – anders als die das Foto aufnehmende Person – auf dem Motorrad gesessen habe und die Baumkronen daher über seinem Sichtbereich gelegen hätten. Indem der Zeuge X trotz der vorhandenen Sichtmöglichkeiten auf den ihm entgegenkommenden Mähdrescher ohne Reduzierung der Geschwindigkeit weiter gefahren sei, habe er – so die Rechtsauffassung der Beklagten – den Unfall in erheblichem Umfang mitverschuldet. Hilfsweise, für den Fall, dass die Sichtweite für den Zeugen X tatsächlich nur 50 m betragen habe, sei ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 5 StVO zu berücksichtigen. Der Zeuge hätte den Mähdrescher zudem auch innerhalb der vom Sachverständigen ermittelten Fahrspur von 1 m passieren können, wenn er ganz rechts gefahren und den Luftraum neben der Straße für sich in Anspruch genommen hätte. Die Beklagten vertreten zudem die Ansicht, dass – entgegen der landgerichtlichen Entscheidung – ein Verstoß der Beklagten gegen die Ausnahmegenehmigung nicht gegeben sei. Es bestünden bereits Zweifel an der Wirksamkeit der Auflage, weil sie widersprüchlich sei. Einerseits hätten nach der Auflage nur Straßen mit ausreichender Fahrbahnbreite befahren werden dürfen, andererseits habe sich der Geltungsbereich der Ausnahmegenehmigung jedoch ausdrücklich auch auf die K 13, auf der sich der Unfall ereignet habe, erstreckt.

Aufgrund der der mit der Berufung nicht angegriffenen Haftung des Beklagten zu 1) in Höhe von 50 % hat der M als Haftpflichtversicherer als Ersatz für die materiellen Schäden einen Betrag i.H.v. 1.287,89 € nebst Zinsen und als Schmerzensgeld einen Betrag i.H.v. 10.000,00 € gezahlt.

Diesbezüglich wird auf das Regulierungsschreiben des M vom 12.04.2013 (Bl. 159 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen, teilweise abändernd

1. die gegen die Beklagten zu 2) gerichtete Klage vollständig abzuweisen und

2. die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage abzuweisen,

a) soweit dieser verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als

aa) 1.287,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 06.08.2011 zu zahlen und

bb) an den Kläger für seinen Sohn X, geb. am 09.08.1991, aufgrund der durch den Wegeunfall vom 14.08.2010 in M-J erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld von mehr als 10.000,00 € zu zahlen,

b)  soweit festgestellt worden ist, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, an den Kläger für seinen Sohn X, geb. am ##.##.1991, mehr als 50 % der Schäden, die diesem in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 14.08.2010 in M-J entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht aus Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zu 1) und 2) zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Ergebnis des landgerichtlichen Urteils bezüglich der Haftung der Beklagten zu 1) und 2).

Er ist der Ansicht, dass die Haftung des Beklagten zu 1) jedenfalls aus § 823 Abs. 1 BGB und die des Beklagten zu 2) aus §§ 823 Abs. 1 und 831 BGB folge. Dem Beklagten zu 2) sei ein Organisationsverschulden vorzuwerfen, weil er die nach der Ausnahmegenehmigung erforderlichen Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen habe.

Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Abweichend von der landgerichtlichen Entscheidung ist die gegen die Beklagten zu 1) und 2) gerichtete Klage lediglich teilweise – unter Berücksichtigung eines zurechenbaren Eigenverschuldens bzw. Mitverschuldens in Höhe von 1/3 – begründet.

Soweit der Kläger neben den Ansprüchen wegen der Beschädigung seines Leichtkraftrades auch Schadensersatzansprüche wegen der seinem Sohn, dem Zeugen X, entstandenen Schäden geltend macht, ist er aufgrund der Abtretungsvereinbarungen gemäß § 398 BGB aktivlegitimiert.

Entgegen der angefochtenen Entscheidung folgt der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu 1) und 2) allerdings nicht aus §§ 7, 18 StVG. Diese Vorschriften sind gemäß § 8 Nr. 1 StVG nicht anwendbar, weil die  konstruktionsbedingte Höchstgeschwindigkeit des Mähdreschers – was in dem Gutachten des Sachverständigen Prof. y ausgeführt und zwischen den Parteien unstreitig ist – lediglich 20 km/h beträgt (vgl. insoweit auch BGH, NZV 1997, 390f; OLG Celle, Urteil vom 02.09.2009, Az.: 14 U 17/09).

Grundlage für die Schadensersatzansprüche des Klägers und des Zeugen X gegen die Beklagten zu 1) und 2) ist dementsprechend § 823 Abs. 1 BGB.

Die Eigentumsverletzung des Klägers sowie die Verletzung des Eigentums und der Gesundheit des Zeugen X sind durch ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu 1) und 2) verursacht worden.

a)

Dabei ist dem Beklagten zu 1), der mit dem Mähdrescher gefahren ist, ein fahrlässiges Verhalten im Sinne von § 276 BGB vorzuwerfen, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, indem er gegen die in der Ausnahmegenehmigung enthaltenen Auflagen und die Vorschriften der StVO verstoßen hat.

Die grundsätzliche Annahme eines Verschuldens des Beklagten zu 1) haben die Beklagten, die mit ihrer Berufung bzgl. der Haftung des Beklagten zu 1) lediglich eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 50 % fordern und den Schaden entsprechend dieser Haftungsquote nach dem Abrechnungsschreiben vom 12.04.2013 bereits reguliert haben, nicht in Abrede gestellt.

aa)

Der Beklagte zu 1) hat gegen die Auflagen der unter dem 14.05.2010 erteilten Ausnahmegenehmigung gemäß §§ 70 Abs. 1 StVZO, 29 Abs. 3 StVO verstoßen.

Zwar erstreckte sich der Geltungsbereich der Ausnahmegenehmigung auch auf den Abschnitt der K 13 zwischen H und J, auf dem sich der Unfall ereignet hat.

Die Ausnahmegenehmigung enthielt diesbezüglich jedoch die folgenden Auflagen:

 „Bei der Auswahl der Streckenführung hat der Erlaubnisinhaber / Fahrzeugführer eigenverantwortlich zu entscheiden, ob auf die Absicherung der selbstf. Arbeitsmaschine (Warnung des Gegenverkehrs) durch ein Firmenbegleitfahrzeug mit gelben Rundumlicht verzichtet werden kann. Eine Gefährdung des individuellen Fahrzeugverkehrs ist in jedem Fall auszuschließen.

Es ist davon auszugehen, dass in verschiedenen Straßenabschnitten aufgrund geringer Fahrbahnbreite ein gefahrloses Begegnen mit dem Normalverkehr nicht möglich ist. Der Antragsteller hat daher vor Fahrantritt die Strecke auf Befahrbarkeit zu überprüfen. Es dürfen nur Straßen mit einer ausreichenden Fahrbahnbreite befahren werden, um Unfälle beim Begegnen und ein Abdrängen in das Bankett sowie Beschädigungen von Straßeneinrichtungen zu vermeiden.“

Entgegen der von den Beklagten in der Berufungsbegründung vertretenen Rechtsauffassung bestehen keine Bedenken an der Wirksamkeit der zitierten Auflagen. Insbesondere ist die Ausnahmegenehmigung diesbezüglich nicht widersprüchlich. Sie lässt sich zwanglos dahingehend auslegen, dass sie zwar grundsätzlich die genannten Straßen – also auch die K 13 – umfasste, dort allerdings im Einzelfall die in den Auflagen genannten Sicherheitsmaßnahmen zu beachten waren.

Die hieraus resultierenden Pflichten hat der Beklagte zu 1) verletzt.

Die Auflagen der Ausnahmegenehmigung richteten sich auch an den Fahrer des Mähdreschers, der darin ausdrücklich angesprochen war.

Insoweit bestehen bereits Bedenken daran, ob die Auswahl der Strecke sorgfaltsgemäß war. Die von dem Beklagten zu 1) als Fahrstrecke gewählte K 13 ließ aufgrund ihrer Breite von lediglich 5,40 m eine gefahrlose Begegnung des 3,50 m breiten Mähdreschers mit dem Gegenverkehr nicht zu.

Jedenfalls aber war es im Hinblick hierauf sorgfaltswidrig, von der Begleitung durch ein Firmenbegleitfahrzeug mit gelbem Rundumlicht abzusehen. Insoweit ist zu beachten, dass nach der Formulierung der Auflage die Arbeitsmaschine grundsätzlich durch ein solches Firmenbegleitfahrzeug abgesichert werden sollte und der Verzicht von dieser grundsätzlich gebotenen Absicherung in die Verantwortung des Erlaubnisinhabers und des Fahrers gestellt wurde. Der Verzicht auf die danach grundsätzlich nach der Auflage gebotene Absicherung war beim Befahren einer – bei Weitem – nicht ausreichend breiten Straße sorgfaltswidrig.

Wenn der von dem Beklagten zu 1) gesteuerte Mähdrescher von einem Begleitfahrzeug mit gelbem Rundumlicht eskortiert worden wäre, wäre der Unfall nach Überzeugung des Senats vermieden worden, weil der Zeuge X die durch den

Mähdrescher begründete Gefahr durch ein vorausfahrendes Begleitfahrzeug frühzeitig hätte erkennen und sein Fahrverhalten darauf hätte einstellen können.

bb)

Darüber hinaus hat der Beklagte zu 1) weitere aus den Vorschriften der StVO folgende Sorgfaltspflichten verletzt.

Er hat sich nicht – wie § 2 Abs. 2 StVO es erfordert – möglichst weit rechts auf seiner Fahrbahnhälfte gehalten. Zwar wird dem Fahrzeugführer dabei ein von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen abhängiger Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. insoweit Heß, in: Burmann / Heß / Jahnke / Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage 2012, § 2 StVO Rdn. 26ff, 32). Bei der Beurteilung, wie weit vernünftigerweise rechts gefahren werden muss, ist auch die aus § 1 Abs. 2 StVO folgende Verpflichtung des Fahrers zu berücksichtigen, zum rechten Fahrbahnrand einen ausreichenden Sicherheitsabstand von mindestens ca. 0,50 m einzuhalten, die u.U. auch ein Überfahren der Mittellinie rechtfertigen kann (vgl. insoweit auch BayObLG, DAR 1973, 51; König, in: Hentschel / König / Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 2 StVO Rdn. 41; Heß, a.a.O., § 2 StVO Rdn. 32). Dieser Beurteilungsspielraum bezieht sich jedoch grundsätzlich nur auf die rechte Fahrbahnhälfte, die linke Fahrbahnhälfte darf nur befahren werden, wenn dies außergewöhnliche Umstände – z.B. die besondere technische Eigenart des Fahrzeugs – erzwingen (BGH, NZV 1996, 444ff; Heß, a.a.O., § 2 StVO Rdn. 33). Eine Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn ist allerdings unzulässig, soweit eine Gefährdung des Gegenverkehrs möglich ist (BGH, NZV 1996, 444; Heß, a.a.O., § 2 StVO Rdn. 32).

Diesbezüglich hat das Landgericht auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. y festgestellt, dass der Beklagte zu 1) mit dem Mähdrescher nicht optimal rechts gefahren ist, wodurch die Fahrspur für den Zeugen X auf ca. 1 m verengt worden ist. Den Ausführungen des Sachverständigen Prof. y lässt sich dabei konkretisierend entnehmen, dass der Beklagte zu 1) zum rechten Fahrbahnrand einen Abstand von ca. 0,90 m hatte. Dies folgt aus seinem Abstand zum linken Fahrbahnrand von ca. 1,00 m, der Breite des Mähdreschers von 3,50 m und der vom Sachverständigen ermittelten Fahrbahnbreite an der Unfallstelle von 5,40 m.

Legt man diese Werte zugrunde, hätte der Beklagte zu 1) trotz der am rechten Fahrbahnrand stehenden Zeugin X2, die ihn nach seiner eigenen Erklärung im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht beeinträchtigt hat, weil sie im Graben stand, weiter rechts fahren können und müssen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Beklagte zu 1) den weiteren Straßenverlauf sowie etwaige entgegenkommende Fahrzeuge aufgrund der am Fahrbahnrand wachsenden Bäume nur sehr beschränkt einsehen konnte und weil er aufgrund der Überbreite seines Fahrzeugs die Gegenfahrbahn auch beim Fahren dicht am rechten Fahrbahnrand in Anspruch nehmen musste.

Wenn der Beklagte zu 1) mit einem geringen Sicherheitsabstand von 0,40 m vom rechten Fahrbahnrand gefahren wäre, hätte er dem Zeugen X weitere 0,50 m eingeräumt, so dass diesem eine Fahrspur von ca. 1,50 m zur Verfügung gestanden hätte.

Ob der Zeuge X diese Fahrspur von ca. 1,50 m bereits unfallfrei hätte passieren können, kann im Ergebnis dahinstehen. Einem hieraus folgenden, möglicherweise unfallursächlichen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO kommt jedenfalls keine eigene Bedeutung zu, weil der Beklagte zu 1) aufgrund der Besonderheiten des Mähdreschers beim Einfahren in die enge und für ihn sowie den Gegenverkehr unübersichtliche Kurve dazu verpflichtet gewesen wäre, noch weiter nach rechts auszuweichen und weitere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Soweit der Sachverständige Prof. y diesbezüglich ein Ausweichen des Beklagten zu 1) auf den Grünstreifen nennt, durch das dieser dem Zeugen X eine Fahrspur 2,00 m hätte einräumen können, folgt diese Verpflichtung zwar nicht aus § 2 Abs. 2 StVO, weil der Grünstreifen nicht zur Fahrbahn gehört und nicht dem Fahrverkehr dient (vgl. insoweit auch König, a.a.O., § 2 Rdn. 35, 25). Die besonderen Sorgfaltspflichten des Beklagten zu 1) beim Einfahren in die enge und für ihn sowie den Gegenverkehr unübersichtliche Kurve folgen jedoch aus § 1 Abs. 2 StVO. Da der von dem Beklagten zu 1) gesteuerte Mähdrescher aufgrund seiner Beschaffenheit und Größe für die entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstellte, auf die diese wegen der eingeschränkten Sichtmöglichkeiten ggf. nicht rechtzeitig reagieren konnten, war der Beklagte zu 1) in dieser Situation zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen verpflichtet. Er hätte nur mit äußerster Vorsicht, reduzierter Geschwindigkeit und ggf. unter Inanspruchnahme des Grünstreifens in die Kurve einfahren dürfen. Darüber hinaus wäre der Beklagte zu 1) gemäß §§ 1

Abs. 2, 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO dazu gehalten gewesen, vor dem Befahren der Kurve den Gegenverkehr durch Betätigung der Hupe – die nach der Erklärung des Beklagten zu 2) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im Senatstermin an dem Mähdrescher vorhanden war – zu warnen (vgl. insoweit auch BGH, VersR 1966, 540ff; König, a.a.O., § 16 StVO Rdn. 10).

Diesen durch die Beschaffenheit des Fahrzeugs begründeten besonderen Sorgfaltspflichten ist der Beklagte zu 1) jedoch nicht nachgekommen. Vielmehr ist er mit einer Geschwindigkeit von 18 km/h – also knapp unter konstruktionsbedingt möglichen Höchstgeschwindigkeit des Mähdreschers von 20 km/h – und ohne weitere Sicherungsmaßnahmen oder Verständigungsversuche in die Kurve eingefahren. Dies folgt auch aus den eigenen Angaben des Beklagten zu 1) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, er habe den Motorradfahrer gesehen und schon habe es „klack“ gemacht. Ob an dem Mähdrescher – was vom Kläger bestritten wird – das Abblendlicht sowie ein Rundumlicht auf dem Kabinendach eingeschaltet waren, kann im Ergebnis offen bleiben. Diese Sicherungsmaßnahmen waren jedenfalls unzureichend, weil sie aufgrund der Sichtbeeinträchtigungen durch die am Fahrbahnrand wachsenden Bäume und Sträucher nicht dazu geeignet waren, den Gegenverkehr rechtzeitig und effektiv zu warnen. Entgegenkommende Fahrzeuge konnten wegen der vorhandenen Sichtbeeinträchtigungen die eingeschalteten Lichter ebenso wenig sehen wie den Mähdrescher selbst.

Wenn der Beklagte zu 1) den o.g. Verpflichtungen genügt hätte, wäre der Unfall verhindert worden. Zum einen hätte er dem Zeugen X bereits unter geringfügiger Inanspruchnahme des Grünstreifens eine Fahrspur von 2,00 m gelassen, die dieser – so die Ausführungen des Sachverständigen Prof. y – gefahrlos hätte passieren können. Zum anderen wäre der Zeuge X durch das Schallsignal frühzeitig vor der Gefahrensituation in der Kurve gewarnt worden, so dass er die Möglichkeit gehabt hätte, sein Fahrverhalten hierauf einzustellen.

b)

Die Rechtsgutverletzung des Klägers und des Zeugen X ist darüber hinaus zurechenbar durch ein Verschulden des Beklagten zu 2) verursacht worden.

Dabei ist dem Beklagten zu 2) ein Organisationsverschulden vorzuwerfen.

Als Inhaber des Lohnunternehmens, Halter des Mähdreschers und Inhaber der Ausnahmegenehmigung hätte der Beklagte zu 2) die betrieblichen Abläufe so organisieren müssen, dass die Fahrer der Arbeitsmaschinen die in der Ausnahmegenehmigung enthaltenen Auflagen und die darüber hinaus gebotenen Vorsichtsmaßnahmen einhalten, um eine Schädigung Dritter zu vermeiden (vgl. hierzu auch Sprau, in: Palandt, 72. Auflage 2013, § 823 Rdn. 50). Die hierdurch begründeten Pflichten des Beklagten zu 2) als Betriebsinhaber betrafen zum einen bereits die Auswahl der von den Fahrern genutzten Strecken, zum anderen betrafen sie auch die bei der Fahrt zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen. Insoweit bestand für den Beklagten zu 2) die Verpflichtung, die Fahrer entsprechend anzuleiten und einzuweisen. Dieser Verpflichtung hat der Beklagte zu 2) nicht bereits dadurch genügt, dass er – wie er schriftsätzlich und im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im Senatstermin erklärt hat – die Ausnahmegenehmigung auf dem Mähdrescher ausgelegt, ansonsten die Streckenauswahl  und die Absicherung des Fahrzeugs jedoch seinen Fahrern überlassen hat. Vielmehr hätte der Beklagte zu 2) als Betriebsinhaber bereits bei der Einsatzplanung und Streckenauswahl dafür Sorge tragen müssen, dass von seinen Fahrern nur ausreichend breite Strecken befahren werden. Diesbezüglich hätte eine Unterweisung der Mitarbeiter erfolgen müssen, in der besprochen wird, welche Strecken über eine ausreichende Breite verfügen. Darüber hinaus hätte der Beklagte zu 2) als Betriebsinhaber sicherstellen müssen, dass die Fahrer konkrete Anweisungen erhalten, auf welchen Strecken sie welche Sicherungsmaßnahmen treffen müssen. In diesem Zusammenhang bestand für ihn auch die Verpflichtung, im Rahmen der Organisation der Einsatzplanung die auf den nicht ausreichend breiten Straßen erforderlichen Begleitfahrzeuge nebst Fahrern zu stellen. Der Beklagte zu 2) hätte zudem durch stichprobenhafte Kontrollen sicherstellen müssen, dass seine Fahrer die im Zusammenhang mit der Streckenauswahl und der Absicherung der Arbeitsmaschinen erteilten Anweisungen einhalten.

Zwar ist der Schaden nicht unmittelbar durch das sorgfaltswidrige Verhalten des Beklagten zu 2) eingetreten, sondern erst durch das o.g. ebenfalls sorgfaltswidrige Verhalten des Beklagten zu 1). Nichtsdestotrotz hat auch der Beklagte zu 2) durch seine Sorgfaltspflichtverletzung den Schadenseintritt adäquat und zurechenbar

verursacht. Der Zurechnungszusammenhang wird im Regelfall nicht durch das Fehlverhalten eines Dritten unterbrochen (OLG Naumburg, Urteil vom 31.03.2000, Az.: 6 U 167/99; Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., vor § 249 Rdn. 47). Insbesondere muss sich derjenige, der eine gesteigerte Gefahrenlage geschaffen hat, in der Fehlleistungen anderer erfahrungsgemäß vorkommen, auch einen durch den Dritten verursachten Schaden zurechnen lassen und hierfür einstehen (Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., vor § 249 Rdn. 48; Oetker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 249 Rdn. 158).

Aufgrund der Nutzung der allgemeinen Verkehrswege durch die Arbeitsmaschinen sowie der unzureichenden Organisation und Anweisung der Fahrer hat der Beklagte zu 2) eine gesteigerte Gefahrenlage in diesem Sinne geschaffen. Die Arbeitsmaschinen stellten bereits aufgrund ihrer Breite und Beschaffenheit bei ihren Fahrten auf den allgemein zugänglichen Straßen eine erhebliche Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer dar. Diese Gefahr hat der Beklagte zu 2) dadurch verstärkt, dass er durch die unzureichende Organisation, Anweisung und Kontrolle seiner Fahrer deren Bewusstsein für die mit der Nutzung der Arbeitsmaschinen auf allgemein zugänglichen Verkehrswegen verbundenen Gefahren nicht geschärft hat. Die o.g. Organisationspflichten dienten gerade dem Zweck, Unfälle durch die unzureichende Absicherung der Arbeitsmaschinen bei der Nutzung allgemein zugänglicher Verkehrswege zu verhindern. Dementsprechend sind dem Beklagten zu 2) auch die Folgen der Fehler seiner Fahrer, die er durch die von ihm verschuldete besondere Gefahrensituation provoziert hat, zuzurechnen.

c)

Anspruchsmindernd ist jedoch ein Eigenverschulden bzw. Mitverschuldensanteil des Zeugen X gemäß § 254 BGB in Höhe von 1/3 zu berücksichtigen. Dabei muss sich der Kläger auch im Hinblick auf die eigenen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten ein etwaiges Verschulden des mit ihm in einer Haftungseinheit stehenden Zeugen y2 rechnen lassen (vgl. dazu auch Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., § 254 Rdn. 54, § 426 Rdn. 15; Knerr, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Auflage 2011, Kapitel 2 Rdn. 30).

Der Zeuge X hat seinerseits durch einen schuldhaften Verstoß gegen die Vorschriften der StVO – namentlich § 3 Abs. 1 S. 5 StVO – die Entstehung des Schadens mitverschuldet.

Zwar hat das Landgericht bzgl. der von dem Zeugen X einzuhaltenden Geschwindigkeit in rechtlicher Hinsicht offen gelassen, ob ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 5 StVO vorliegt. In tatsächlicher Hinsicht hat es jedoch auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Prof. y festgestellt, dass der Zeuge X die beim Fahren auf halbe Sicht gebotene Geschwindigkeit nicht eingehalten hat. Der Sachverständige hat diesbezüglich ausgeführt, dass der Zeuge X – bezogen auf die gesamte Fahrbahn – eine Sichtweite von 50 m gehabt habe. Um sein Fahrzeug innerhalb der halben Sichtweise von 25 m zum Stehen bringen zu können, hätte der Zeuge X nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts lediglich mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h fahren dürfen, so dass er mit der vom Sachverständigen ermittelten Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 55 km/h die beim Fahren auf halbe Sicht einzuhaltende Geschwindigkeit überschritten habe.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat der Zeuge X die gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO bestehende Verpflichtung, seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Stecke halten kann, verletzt.

Bei der Unfallstrecke handelt es sich um eine schmale Strecke im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 5 StVO, auf der das Gebot zum Fahren auf halbe Sicht galt.

Schmal ist eine Fahrbahn, die bei ausreichendem Zwischenraum eine Fahrbegegnung mit einem 2,50 m breiten Fahrzeug nicht zulässt (Burmann, a.a.O., § 3 StVO Rdn. 20; König, a.a.O., § 3 StVO Rdn. 16). Auf einer schmalen Fahrbahn muss derjenige, der mangels ausreichender Fahrbahnbreite die Fahrbahnseite des Gegenverkehrs mitbenutzen muss, seine Geschwindigkeit so bemessen, dass er in sicherem Abstand von der Mitte der übersehbaren Strecke anhalten kann, und deshalb auf halbe Sicht fahren. Aber auch derjenige, der mit einem schmaleren Fahrzeug seine Fahrbahnhälfte selbst nicht überschreiten muss – wie der Zeuge X mit seinem Leichtkraftrad –, muss auf halbe Sichtweite fahren, wenn er mit dem Entgegenkommen breiterer Fahrzeuge rechnen muss und die Fahrbahnbreite eine sichere Begegnung mit einem 2,50 m breiten Kfz nicht zulässt (vgl. dazu Burmann, a.a.O., § 3 StVO Rdn. 20). Da für eine zügige Begegnung zweier Fahrzeuge ein Mindestzwischenraum von 1,00 m zwischen den Fahrzeugen erforderlich ist und außerdem ein angemessener Abstand von 0,50 bis 1,00 m zum rechten Fahrbahnrand verlangt wird, ist das Fahren auf halbe Sicht im Allgemeinen bereits dann geboten, wenn einem entgegenkommenden Fahrzeug weniger Raum als 4,00 – 4,50 m zur Durchfahrt verbleibt (Burmann, a.a.O., § 3 StVO Rdn. 21). Dabei muss die Breite des übersehbaren Raumes auf schmalen Straßen die ganze Fahrbahn, also auch die Gegenfahrbahn umfassen (vgl. Burmann, a.a.O., § 3 StVO Rdn. 29).

Auf der Grundlage der vom Sachverständigen ermittelten Werte blieb den dem Leichtkraftrad entgegen kommenden Fahrzeugen auf der an der Unfallstelle 5,40 m breiten Fahrbahn nicht ausreichend Raum zur gefahrlosen Begegnung. Unter Berücksichtigung eines angemessenen Sicherheitsabstandes zum rechten Fahrbahnrand von mindestens 0,50 m sowie des Raumbedarfs des von dem Zeugen X gesteuerten Motorrades in der Kurve von mindestens 1,00 m blieben einem entgegenkommenden Fahrzeug zur Durchfahrt maximal 3,90 m. Der Zeuge X war dementsprechend gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO an der Unfallstelle dazu verpflichtet, auf halbe Sicht zu fahren.

Diese Verpflichtung hat der Zeuge X nach den o.g. tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Prof. y nicht eingehalten.

Aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. y folgt außerdem, dass dieser Verstoß für den Unfall (mit-)ursächlich geworden ist. Wenn der Zeuge X auf halbe Sicht mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h gefahren wäre, hätte er sein Fahrzeug innerhalb von 25 m zum Stehen bringen können. Der Sachverständige hat bzgl. der Sichtmöglichkeiten des Zeugen X weiter ausgeführt, dass in einer Entfernung von 40 m von der Unfallstelle ein Baum dem Zeugen X noch die Sicht genommen habe, er jedoch 10 m weiter – also 30 m vor der Kollisionsstelle – vollständige Sicht auf den Mähdrescher gehabt habe. Wenn der Zeuge X lediglich mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h gefahren wäre, mit der er sein Fahrzeug innerhalb einer Strecke von 25 m hätte stoppen können, hätte er dementsprechend beim Erkennen des Mähdreschers noch rechtzeitig abbremsen können.

Soweit die Beklagten in der Berufungsbegründung ein Mitverschulden des Zeugen X aus dessen verspäteter Reaktion ableiten und diesbezüglich aufgrund der Lichtbilder in der Anlage B 9 des Gutachtens des Sachverständigen Prof. y für den Zeugen X eine Sichtweite von 130 bis 150 m unterstellen, ist diese Behauptung durch die auf den polizeilichen Lichtbildern erkennbare Vegetation im Sommer (Anlage A 6ff zum Gutachten des Sachverständigen Prof. y) und die o.g. Ausführungen des Sachverständigen Prof. y den Sichtweiten widerlegt. Die von den Beklagten insoweit pauschal angeführten Höhenunterschiede zwischen dem stehenden Polizeibeamten, der die Lichtbilder aufgenommen hat, und dem auf dem

Motorrad sitzenden Zeugen X stellen einen unbeachtlichen Angriff gegen die Ausführungen des Sachverständigen dar. Die Beklagten beziffern die Höhenunterschiede zum einen bereits nicht. Zum anderen legen sie auch die Voraussetzungen für eine Zulassung dieser erstmals in der Berufungsbegründung erhobene Einwendung gemäß § 531 ZPO nicht dar, insbesondere begründen sie nicht, weshalb es ihnen nicht möglich war, diese Einwendung innerhalb der vom Landgericht gemäß § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Stellungnahmefrist vorzubringen.

Eine verspätete Reaktion des Zeugen X ist auf der Grundlage der erstinstanzlich erhobenen Beweise nicht feststellbar. Mit der vom Sachverständigen ermittelten Ausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h konnte der Zeuge X sein Motorrad bei Sichtbarwerden des Mähdreschers bis zur Kollision lediglich noch auf 35 km/h abbremsen.

Auch das von den Beklagten in diesem Zusammenhang geforderte Ausweichen des Zeugen X nach rechts war – so die mündlichen und schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. y – nicht möglich. Der Sachverständige hat sowohl schriftlich als auch mündlich in jeder Hinsicht überzeugend ausgeführt, dass es dem Zeugen X unmöglich war, den Mähdrescher in der ihm zur Verfügung stehenden Fahrspur von 1,00 m zu passieren. Auch diesbezüglich enthält die Berufungsbegründung keine erheblichen Einwände gegen die Ausführungen des Sachverständigen. Vielmehr stellen die Beklagten lediglich pauschal die durch das Gutachten widerlegte These auf, der Zeuge X hätte unter Inanspruchnahme des Luftraumes weiter rechts fahren können, was diesem allerdings – insbesondere im Hinblick auf das plötzliche Auftauchen des Mähdreschers – nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Y nicht möglich war.

Bei der Abwägung des zulasten des Klägers und des Zeugen y2 zu berücksichtigen Mitverschuldens bzw. Eigenverschuldens gegenüber den Verschuldensbeiträgen der Beklagten ist allerdings neben dem Verschulden des Zeugen X die von dem Motorrad ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen, weil der Kläger als Halter des Kraftfahrzeuges den Beklagten seinerseits aus der Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG für einen etwaigen Schaden verantwortlich wäre, was sich aufgrund der zwischen dem Kläger und dem Zeugen X bestehenden Haftungseinheit auch auf dessen Schadensersatzansprüche auswirkt (vgl. dazu Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., § 254 Rdn. 60).

Die danach auf Seiten des Klägers und des Zeugen y2 berücksichtigenden Verschuldensbeiträge sind im Verhältnis zu den auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigenden Verschuldensbeiträge, die ebenfalls eine Haftungseinheit bilden, mit 1/3 zu bewerten.

Das Verschulden der Beklagten wegen der Verletzung der Auflagen in der Ausnahmegenehmigung bzw. der entsprechenden Organisationspflichten sowie der Verstöße gegen §§ 2 Abs. 2, 1 Abs. 2 StVO wiegt dabei – auch wenn der Mähdrescher nicht der Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG unterliegt und eine von ihm ausgehende Betriebsgefahr dementsprechend nicht berücksichtigt werden kann – schwerer. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten durch ihre Verschuldensbeiträge die eigentliche Unfallursache gesetzt haben, ohne die es nicht zu dem Schaden gekommen wäre, was in dem höheren Haftungsanteil auf ihrer Seite zum Ausdruck kommen muss (vgl. insoweit auch OLG Celle, Urteil vom 02.09.2009, Az.: 14 U 17/09; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 491; OLG Köln, NZV 1989, 113ff).

d)

An materiellen Schäden kann der Kläger insgesamt 2.297,14 € – unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils von 1/3 also 1.531,43 € – ersetzt verlangen.

Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem gemäß § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzenden Wiederbeschaffungsaufwand für das Leichtkraftrad i.H.v. 1.250,00 €, das bei dem Unfall einen Totalschaden erlitten hat, den Kosten für das privat eingeholte Sachverständigengutachten in Höhe von 441,13 € sowie der Unkostenpauschale i.H.v. 25,00 €. Dabei steht der Umstand, dass der Kläger den Schadensersatzanspruch in Höhe der Gutachterkosten einschließlich Mehrwertsteuer zunächst erfüllungshalber an den Sachverständigen abgetreten hat, seiner Aktivlegitimation nicht entgegen. Unabhängig davon, dass bereits Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit und damit der Wirksamkeit dieser Abtretung bestehen (vgl. dazu BGH, MDR 2011, 845), hat der Kläger die Rechnung des Sachverständigen inzwischen bezahlt und der Sachverständige mit der Entgegennahme der Zahlung die Ansprüche jedenfalls konkludent zurückabgetreten.

Darüber hinaus kann der Kläger aus abgetretenem Recht des Zeugen X gemäß § 249 Abs. 2 BGB die Kosten für die Bergung des Motorrades in Höhe von 166,01 €, Wertersatz für die bei dem Unfall beschädigte Kleidung in Höhe von insgesamt 390,00 € – für einen zerstörten Helm (2 Jahre alt) 80,00 €, für eine zerstörte Hose (1 Jahr alt) 90,00 €, für eine zerstörte Motorradjacke (2 Jahre alt) 160,00 € und für zerstörte Schuhe (2 ½ Jahre alt) 60,00 € – sowie pauschal auch für die dem Zeugen X infolge des Unfalls entstandenen Unkosten einen Betrag in Höhe von 25,00 € geltend machen.

Der bezüglich der materiellen Schäden geltend gemachte Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit folgt aus §§ 291, 288 BGB.

Nicht ersatzfähig sind insoweit allerdings die vom Kläger aus abgetretenem Recht des Zeugen X geltend gemachten Kosten für dessen Heilbehandlung.

Bezüglich der Kosten für Zuzahlungen an die Firma C i.H.v. 18,63 € wird nicht dargelegt, wofür diese Kosten angefallen sind, so dass nicht feststellbar ist, ob sie als  Kosten der erforderlichen Heilbehandlung gemäß § 249 Abs. 2 BGB erstattungsfähig sind.

Gegenüber den außerdem als Schadensersatz geltend gemachten Zuzahlungen für den Krankenhausaufenthalt in Höhe von insgesamt 260,00 € (26 Tage x 10,00 € / Tag) muss sich der Zeuge X die Aufwendungen in Abzug bringen lassen, die für die Verpflegung im eigenen Haushalt angefallen wären, die nach gefestigter Rechtsprechung in Höhe von 10,00 € / Tag zu berücksichtigen sind und den Schadensersatzanspruch deshalb entfallen lassen (vgl. dazu auch Grüneberg, in: Palandt, BGB, a.a.O., vor § 249 Rdn. 93; Oetker, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Auflage 2012, § 249 Rdn. 409).

e)

Der Kläger hat aus abgetretenem Recht des Zeugen X gegen die Beklagten zu 1) und 2) außerdem gemäß § 253 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld. Diesbezüglich hält der Senat – unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens des Zeugen X – einen Betrag in Höhe von 13.333,00 € angemessen.

Nach gefestigter Rechtsprechung hängt die Höhe des Schmerzensgeldes entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Folge erkennbar und objektiv vorhersehbar ist (BGH VersR 1995, 471). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Darüber hinaus sind auch die o.a. Verschuldensbeiträge bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Bei der Bezifferung des im Einzelfall jeweils angemessenen Schmerzensgeldes ist zur Wahrung der rechtlichen Gleichbehandlung ferner zu beachten, dass der ausgeurteilte Betrag sich in das Gesamtsystem der von den Gerichten entwickelten Schmerzensgeldjudikatur einfügt. Dies bedeutet, dass seine Größenordnung dem Betragsrahmen entsprechen muss, der in der überwiegenden Spruchpraxis für vergleichbare Verletzungsgrade zuerkannt wird.

Bei dem Zeugen X wurden ein Polytrauma mit II.-gradig offener Calcaneusmehrfragmentfraktur links, eine Tibiaschaftfraktur links mit II.-gradigem Weichteilschaden und Peroneusparese, ein lateraler Tibiakopfimpressionsspaltbruch links, eine undislorzierte Innenknöchelfraktur links, eine ausgedehnte Decollementverletzung des linken Kniegelenks mit ausgedehntem Oberschenkelhämatom, eine Thoraxkontusion links, eine Schulterprellung links mit Armplexusläsion, eine Metacarpale II-Fraktur links, ein Schädelhirntrauma I. Grades, eine Nasenbeinfraktur mit Risswunde am Nasenrücken sowie eine Blutungsanämie diagnostiziert. Der Zeuge musste sich nach einem 26-tägigen stationären Krankenhausaufenthalt, bei dem drei Operationen durchgeführt wurden, für ca. 1 Monat einer Reha-Maßnahme unterziehen. Im Dezember 2010 – also 4 Monate nach dem Unfall – wurde der Zeuge X in seinen Ausbildungsberuf wiedereingegliedert. Er musste sich im Sommer 2011 erneut operieren lassen, weil die Tibiakopffraktur nicht richtig verheilt war, insgesamt dauerte dieser Krankenhausaufenthalt 12 Tage. An dem linken Bein des Zeugen sind – wie auf den vorgelegten Fotos im Anlagenordner zu erkennen ist – deutlich sichtbare Narben verblieben. Der Zeuge X hat zudem im Rahmen seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausgesagt, unfallbedingt eine Umschulungsmaßnahme zum technischen Zeichner beginnen zu wollen.

Aufgrund dieser Verletzungsfolgen ist der vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 20.000,00 € als Grundbetrag angemessen und entspricht den für vergleichbar schwere Verletzungen zugesprochenen Beträgen (vgl. auch – zitiert nach Hacks / Wellner / Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2013 – OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.12.2003, Az.: 1 U 65/03 (Nr. 289); OLG Naumburg, Urteil vom 23.12.2010, Az.: 2 U 69/10 (Nr. 290); LG Darmstadt, Urteil vom 20.01.1988, Az.: 9 O 547/87 (Nr. 291); OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.12.2003, Az.: 1 U 65/03 (Nr. 292)). Demnach besteht unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens des Zeugen X ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 13.333,00 €.

Der auf die Zukunftsschäden gerichtete Feststellungsantrag ist zulässig.

Insbesondere besteht diesbezüglich ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO. Hierzu reicht es aus, dass künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH NJW 2001, 3414; BGH NJW-RR 1989, 1367; Greger in: Zöller, ZPO, 29. Auflage 2012, § 256 Rdn. 8a), was vorliegend aufgrund des Umfangs und der Schwere der knöchernen Verletzungen bereits im Hinblick auf das daraus resultierende Arthroserisiko der Fall ist. Da die vorhersehbaren immateriellen Schäden allerdings bereits bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden sind, ist das Feststellungsinteresse diesbezüglich auf die nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden beschränkt.

Der Feststellungsantrag ist aus den oben dargelegten Erwägungen auch begründet, wobei auch diesbezüglich ein Eigenverschulden bzw. Mitverschulden des Zeugen u 1/3 zu berücksichtigen ist.

Insoweit war der Tenor des in der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2013 verkündeten Urteils gemäß § 319 ZPO wie geschehen zu berichtigen, weil eine offensichtliche Unrichtigkeit vorlag. Aus dem weiteren Urteilsausspruch sowie den obigen Ausführungen ergibt sich, dass auch die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten nur unter Berücksichtigung eines zurechenbaren Eigenverschuldens bzw. Mitverschuldens von 1/3 zu erfolgen hat und insoweit bei der Tenorierung lediglich ein Formulierungsfehler unterlaufen ist.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 100, 269, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Verkehrsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Verkehrsrecht und Verkehrsstrafrecht. Gerne beraten und vertreten wir Sie in allen verkehrsrechtlichen Angelegenheiten.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!