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Privatparkplatz – Gilt die Straßenverkehrsordnung?

Amtsgericht Essen, Az.: 29 C 145/13, Urteil vom 23.07.2014

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 491,22 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 11.02.2013 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 53,77 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 11.02.2013 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 10.01.2013 gegen 17.49 Uhr auf dem Parkplatz der Firma S in Essen ereignete.

Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin des Pkws O mit dem amtlichen Kennzeichen #-###.

Der Beklagte zu 1) ist Halter und Fahrer des Pkws E mit dem amtlichen Kennzeichen *-***, das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Klägerin parkte ihr Fahrzeug in einer auf dem Parkplatz der Firma S vorhandenen Parkboxen.

Der Beklagte zu 1) fuhr auf dem Zuweg des Parkplatzes und beabsichtigte rückwärts in die neben der Klägerin befindliche freie Parkbox zu fahren.

Die Klägerin setzte ihr Fahrzeug rückwärts aus der Parkbox.

Hierbei kam es zur Kollision.

straßenverkehrsordnung auf privaten parkgelände

Die Klägerin macht mit der Klage 50 % folgender Schäden geltend:

Reparaturkosten netto:  932,44 Euro

Kostenpauschale: 25,00 Euro

_____________________

4.937,87 Euro

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.02.2013 forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 10.02.2013 zur Zahlung auf.

Eine weitere Regulierung wurde mit Schreiben vom 16.05.2013 abgelehnt.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1) sei zunächst an ihrem Fahrzeug vorbeigefahren, habe dann angehalten und sei dann wieder rückwärtsgefahren um einzuparken. Beide Fahrzeuge seien rückwärtsfahrend gegeneinander gefahren.

Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1.       an sie 491,22 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 11.02.2013 zu zahlen,

2.       an sie 53,77 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 11.02.2013 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1) habe sein Fahrzeug hinter dem Fahrzeug der Klägerin angehalten, um sich über den rückwärtigen Verkehr zu orientieren. Die Klägerin sei gegen sein stehendes Fahrzeug gefahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten im Hinblick auf den Klageantrag zu 1) ein Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs.1 Nr.1 VVG in Höhe von 491,22 Euro zu.

Der streitgegenständliche Unfall stellte sich für keinen der Unfallbeteiligten als höhere Gewalt oder als unabwendbares Ereignis dar, so dass sich der Umfang der Haftung danach richtet, inwieweit der Unfall vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 StVG).

Der jeweilige Verursachungsbeitrag wird gebildet aus der Summe der Gefahren, die in der konkreten Unfallsituation von den beteiligten Kraftfahrzeugen ausgegangen sind, und die sich auf die Herbeiführung des Unfalls und die entstandenen Schäden ausgewirkt haben. Solche Gefahren ergeben sich zum einen aus der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge, den von ihnen gefahrenen Geschwindigkeiten, den zum Zeitpunkt des Unfalls durchgeführten Fahrmanövern sowie dem konkreten Fahrverhalten und dabei insbesondere aus etwaigen Fahrfehlern oder Verkehrsverstößen.

Dabei sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder bewiesen sind, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.

Die demnach vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führt vorliegend dazu, dass die Klägerin und der Beklagte zu 1) den Unfall entsprechend den jeweiligen Betriebsgefahren ihrer Fahrzeuge zu gleichen Teilen schuldhaft verursacht haben.

Der Kundenparkplatz eines Kaufhauses ist eine öffentliche Verkehrsfläche, da er für jeden Verkehrsteilnehmer frei zugänglich ist. Demnach sind die Vorschriften der StVO auf einen dort erfolgten Unfall unmittelbar anzuwenden. Aus der Anwendbarkeit der StVO ergibt sich jedoch nicht automatisch die Anwendbarkeit sämtlicher Vorschriften; vielmehr ist bei jeder an sich in Betracht kommenden Norm zu untersuchen, ob der konkrete Sachverhalt in den Regelungsbereich der betreffenden Vorschrift fällt. Im vorliegenden Fall bestimmen sich die beiderseitigen Sorgfaltsanforderungen letztlich nach § 1 Abs. 2 StVO und nicht nach § 9 Abs. 5 StVO. Die Zwischenwege auf einem Parkplatzgelände sind nämlich nicht als Straße oder Fahrbahn im Sinne der Vorschriften gemäß § 9 Abs. 5 StVO anzusehen. Sie dienen nicht, wie eine Straße oder eine Fahrbahn, dem fließenden Verkehr. Denn es ist nicht zu verkennen, dass ein Parkplatz in erster Linie eine dem ruhenden Verkehr dienende Einrichtung ist und dass der Verkehr auf den markierten Fahrspuren in seinem Tempo durch den Park- und Ladebetrieb so erheblich bestimmt ist, dass dieser einer allzu zügigen Fahrweise entgegensteht, und dass schließlich die Aufmerksamkeit von Fahrern, die eine Parklücke suchen oder die damit beschäftigt sind, auf engem Raum ein- und auszuparken, regelmäßig nicht unerheblich abgelenkt ist. Im Hinblick auf diese Besonderheiten des Verkehrs auf einem öffentlichen Parkplatz, die sich aus dessen Natur und Zweckbestimmung ergeben, ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO nicht direkt anzuwenden; das Verhalten der Unfallbeteiligten ist daher lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 1 StVO zu beurteilen, wobei allerdings für das Maß der von ihnen zu beachtenden Sorgfalt die in § 9 Abs. 5 StVO enthaltenen Rechtsgedanken heranzuziehen sind (AG Düren, Urteil vom 08.11.2000, Az. 45 C 341/00).

Ein Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden Verkehrs“ gegenüber dem aus einer Parkbox wartepflichtigen Ausfahrenden besteht also nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn das sich in der Parkgasse befindliche Fahrzeug rückwärts gefahren wird. Im Falle der Kollision spricht der Anschein für ein Verschulden des Zurücksetzenden auch dann, wenn der Zurücksetzende zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen ist, gleichwohl aber ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen gegeben ist (OLG Hamm, Urteil vom 11.09.2012, Az. 9 U 32/12).

Das Gericht ist aufgrund des im Parallelverfahren (10 C 52/14) eingeholten überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. I, in dessen Verwertung die Parteien eingewilligt haben, davon überzeugt, dass sich beide unfallbeteiligten Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt in Rückwärtsfahrt befunden haben, weshalb unter dem Gesichtspunkt der vorstehenden Grundsätze eine hälftige Haftung nach Maßgabe der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge angemessen ist.

Im Einzelnen hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Klägerin mit ihrem Fahrzeug in Rückwärtsfahrt gegen das bei der Kollision ebenfalls in Rückwärtsfahrt befindliche Beklagtenfahrzeug gestoßen sei. Ein Stillstand des Beklagtenfahrzeugs bei der Kollision sei dagegen aus sachverständiger Sicht auszuschließen. Wäre das Klägerfahrzeug gegen das stehende Fahrzeug des Beklagten zu 1) gestoßen, so hätte es aufgrund des Anstoßwinkels zu einem stumpfen Anstoß kommen müssen. Tatsächlich waren am Klägerfahrzeug jedoch waagerecht verlaufende Streif- und Kratzspuren eingetreten, was nur bei einer Bewegung des Beklagtenfahrzeugs möglich sei.

Das Gericht folgt diesen Ausführungen des Sachverständigen I, da sie ersichtlich fachgerecht erstellt und in sich schlüssig sind. Die besondere Sach- und Fachkunde des Sachverständigen ist dem Gericht, der seit vielen Jahren in entsprechenden Gerichtsverfahren als Gutachter tätig ist, aus mehreren Verfahren grundsätzlich bekannt. Der Sachverständige hat das Unfallgeschehen eingehend rekonstruiert und die Beweisfrage vollständig beantwortet. Seine Ergebnisse hat er nachvollziehbar und widerspruchsfrei begründet.

Unter Zugrundelegung einer Haftungsquote der Beklagten in Höhe von 50 % ergibt sich so  – da die geltend gemachten Schadenspositionen zwischen den Parteien unstreitig sind – ein Erstattungsanspruch der Klägerin in der zuerkannten Höhe von 491,22 Euro.

Diesen Schadensersatzanspruch haben die Beklagten seit Eintritt des Verzuges (§§ 280 Abs.1, 2, 286 BGB) zu verzinsen. Insoweit forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 25.01.2013 unter Fristsetzung bis zum 10.02.2013 verzugsbegründend zur Zahlung auf.

Im Hinblick auf die mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht der Klägerin aufgrund der deliktischen Haftung der Beklagten ein Erstattungsanspruch in der tenorierten Höhe zu.

Auf die Rechtsanwaltskosten sind seit Eintritt des Verzuges (§§ 280 Abs.1, 2, 286 BGB) aufgrund des fruchtlosen Fristablaufs zum 10.02.2013 Zinsen zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.11, 711, 713 ZPO.

Streitwert: 491,22 Euro

Rechtsbehelfsbelehrung:

A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Essen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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