AG Lingen – Az.: 12 C 1282/10 – Urteil vom 16.05.2011
1.) Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.968,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 05.10.2010 sowie weitere 229,55 € nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2010 an außergerichtlichen Anwaltsgebühren zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.) Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.
3.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Zeuge S. M. befuhr mit dem PKW VW Passat, amtliches Kennzeichen xx – x xxx, die L . in L. in Fahrtrichtung L.. Vor ihm befand sich die Beklagte zu Ziffer 1.) mit dem bei der Beklagten zu Ziffer 2.) haftpflichtversicherten PKW, amtliches Kennzeichen xx – xx xxx. Davor befand sich noch ein LKW der Firma S., B.. Im Laufe der Fahrtstrecke befuhren die 3 Fahrzeuge unmittelbar hintereinander einen längeren Kurvenbereich von mehr als 1 km, danach begann ein längeres gerades Streckenstück, das die Beteiligten ohne Gegenverkehr befuhren. Der Zeuge M. wollte sowohl den LKW als auch das Beklagtenfahrzeug überholen. Als sich sein Fahrzeug neben dem Fahrzeug der Beklagten befand, setzte die Beklagte ebenfalls zum Überholen an. Es kam zur Kollision der Fahrzeuge, wodurch Sachschaden entstand. Der Kläger holte ein Gutachten ein, wofür er 534,63 € bezahlte. Auf den entstandenen Schaden zahlte die Beklagte zu Ziffer 2.) insgesamt 1.605,87 €, hiervon 1.176,05 € auf die Reparaturkosten, 267,32 € auf die Sachverständigenkosten, 12,50 € auf die Kostenpauschale und 150,– € auf die Wertminderung.
Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des Fahrzeuges. Die Wertminderung betrage 400,– €. Der Kfz-Schaden betrage netto 2.614,48 €. Der Kläger begehrt Ersatz des restlichen Schadens, wobei er die allgemeinen Unkosten mit 25,– € beziffert. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagtenseite in voller Höhe für den Schaden aufzukommen habe. In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger, er habe sich bereits geraume Zeit im Überholvorgang befunden, als die Beklagte zu 1.) mit ihrem Kfz erstmalig ausgeschert sei. Das Verhalten der Beklagten zu Ziffer 1.) habe ein beabsichtigtes Überholmanöver nicht erkennen lassen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.968,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 06.09.2010 zu zahlen,
2. als Gesamtschuldner an ihn 229,55 € nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an außergerichtlichen Anwaltsgebühren zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten, dass die Beklagte zu Ziffer 1.) ca. 400 – 500 m auf geradem Streckenstück ohne Gegenverkehr hinter dem LKW hergefahren sei, ohne zum Überholen anzusetzen. Die Beklagte zu 1.) sei vielmehr direkt an der Mittellinie gefahren, um nach dem Durchfahren eines Kurvenbereichs freie Sicht vorne zu haben und den LKW zu überholen. Aus dieser Fahrweise habe der Zeuge Meyer damit rechnen müssen, dass das vor ihn fahrende Beklagtenfahrzeug zum Überholen ausschere. Die Beklagten sind daher der Auffassung, dass der Schaden nur zu 50 % zu regulieren sei. Zur Schadenshöhe behaupten die Beklagten, dass sich die Nettoreparaturkosten auf 2.332,10 € und die Wertminderung auf 300,– € beliefen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie Vernehmung des Zeugen M. und Anhörung der Beklagten zu Ziffer 1.) gemäß Beweisbeschluss vom 21.01.2011 (vgl. Bl. 39 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.04.2011 (Bl. 83 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Die Beklagten haften gemäß §§ 7, 18 StVG, 115 VVG in voller Höhe für den Schaden des Klägers. Dabei ist der Kläger aktivlegitimiert. Der Kläger hat durch Vorlage des Fahrzeugbriefes und des Kaufvertrages nachgewiesen, dass er Eigentum an dem Fahrzeug erworben hat. Zudem hat der einzige in Betracht kommende Eigentümer des Fahrzeuges, der Zeuge S. M., seine Ansprüche an den Kläger abgetreten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges sich bereits auf der Gegenfahrbahn auf Grund des Überholvorganges befunden hat, als die Beklagte zu Ziffer 1.) ihrerseits zum Überholen angesetzt hat. Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges davon ausgehen musste, dass die Beklagte zu Ziffer 1.) ihrerseits überholen will, lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen.
Zwar hat die Beklagte zu Ziffer 1.) angegeben, dass sie vor dem Überholvorgang bereits zwei Mal zum Überholen angesetzt und jedes Mal wegen des Gegenverkehrs abgebrochen habe. Die Beklagte zu Ziffer 1.) hat ferner angegeben, sie habe bei Einleitung des Überholvorgangs nicht bemerkt, dass der Zeuge M. geblinkt oder sich auf der Gegenfahrbahn befunden habe.
Demgegenüber hat der Zeuge S. M. angegeben, er habe mehrere 100 Meter gewartet, ob die Beklagte zu Ziffer 1.) überhole. Er habe keinerlei Anzeichen dafür festgestellt, dass Frau P. überholen wolle und habe deshalb zum Überholen angesetzt. Diese habe angefangen zu überholen, als er sich auf gleicher Höhe mit ihr befunden habe. Die Beklagte zu Ziffer 1.) habe nicht bereits zwei Mal zuvor deutlich zum Überholen angesetzt. Vor Einleitung des Überholvorganges habe er auch ordnungsgemäß den Blinker gesetzt.
Das Gericht kann nicht feststellen, dass die Schilderung der Beklagten zu Ziffer 1.) glaubhafter ist als die Aussage des Zeugen M.. Beide sind unfallbeteiligt und haben ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreites. Zudem ergibt sich aus dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens, dass sich der Zeuge M. mit dem klägerischen Fahrzeug bereits auf der Gegenfahrbahn befunden haben muss, als die Beklagte zu Ziffer 1.) zum Überholen angesetzt hat. Das Gericht kann daher nicht feststellen, dass für den Fahrer des klägerischen Fahrzeuges deutlich geworden ist, dass die Beklagte zu Ziffer 1.) überholen will. Ebenso wenig kann das Gericht feststellen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges den Überholvorgang nicht durch Blinkzeichen angekündigt hat.
Aus dem Gutachten des Sachverständigen H. ergibt sich, dass bereits 2 Sekunden vor der Kollision selbst bei einer für den Kläger ungünstigen Variante das klägerische Fahrzeug sich bereits zur Hälfte auf der Gegenfahrbahn befunden hat, während das Beklagtenfahrzeug noch auf der eigenen Fahrbahn ist. Selbst 1 Sekunde vor der Kollision ist es so, dass das Beklagtenfahrzeug noch auf der eigenen Fahrbahn ist und sich das klägerische Fahrzeug bereits deutlich auf der Gegenfahrbahn befindet. Geht man davon aus, dass das klägerische Fahrzeug einen größeren Abstand von dem Beklagtenfahrzeug beim Ausscheren gehalten hat, so wäre das klägerische Fahrzeug noch früher auf der Gegenfahrbahn sichtbar gewesen. Daraus ergibt sich, dass der Unfall auf alle Fälle für die Beklagte zu Ziffer 1.) vermeidbar gewesen ist, weil diese sich vor Einleitung des Überholvorganges über den rückwärtigen Verkehrsraum zu vergewissern hatte und dann hätte feststellen müssen, dass sich der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges bereits auf der Gegenfahrbahn befunden hat. Die Beklagte zu Ziffer 1.) hätte daher den Überholvorgang zurückstellen müssen. Da dies bereits 2 Sekunden vor Kollision sichtbar gewesen ist, muss das Gericht davon ausgehen, dass die Beklagte zu Ziffer 1.) ihrer Rückschaupflicht nicht genügt hat. Dieses Verschulden wirkt derart stark, dass eine Schadensteilung nicht angezeigt ist. Dies hätte vorausgesetzt, dass für den Fahrer des klägerischen Fahrzeuges deutlich erkennbar gewesen sein muss, dass die Beklagte zu Ziffer 1.) ebenfalls überholen will. Das Gericht erachtet das Verschulden der Beklagten zu Ziffer 1.) als derart gewichtig, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges hinter diesem Verschulden vollständig zurücktritt.
Das Gericht hält die Schlussfolgerungen des Sachverständigen für nachvollziehbar. Dieser hat die Unfallstelle besichtigt und die Schadensspuren an den beteiligten Fahrzeugen ausgewertet. Der Sachverständige hat damit seiner Begutachtung zutreffende Befundtatsachen zugrunde gelegt. Seine Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar, wobei sich der Sachverständige auch mit den Einwendungen der Parteien auseinandergesetzt hat. Dabei ist nachvollziehbar geworden, dass zwar möglich ist, dass sich die Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision etwas schräger auf der Straße befunden haben. Dies setzt aber nicht normale Ausschervorgänge von beiden unfallbeteiligten Fahrern voraus. Wenn das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision etwas schräger gefahren ist, so müsste auch das klägerische Fahrzeug schräger gefahren sein, wofür hier nach Auffassung des Gerichtes überhaupt keine Anhaltspunkte bestehen. Im Übrigen ergibt sich aus den Feststellungen des Sachverständigen, dass sich bei veränderten Geschwindigkeiten andere Werte hinsichtlich der Längsrichtung ergeben. Hinsichtlich der Bewegung in Querrichtung bleibt diese aber auch bei veränderten Geschwindigkeiten annähernd gleich.
Zur Höhe der Klageforderung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Auslegung von Klägerseite lediglich ein Betrag i. H. v. 1968,24 € gefordert wird. Dies ergibt sich aus Seite 3 der Klageschrift. Die Kostenpauschale und die Gutachterkosten sind unstreitig. Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen H. bemisst das Gericht die Wertminderung mit 400,- €. Das Gericht folgt dem Sachverständigen auch bei seiner Wertung, dass die Methode Ruhkopf/Sahm ungeeignet ist, weil sie keine Wertminderung ausweist, wenn die Reparaturkosten prozentual gesehen niedrig sind.
Aus dem Gutachten des Sachverständigen H., dessen Ausführen zum Reparaturbedarf sich die Klägerseite zu eigen gemacht haben dürfte, folgt, dass netto Reparaturkosten mindestens in Höhe des von Klägerseite geltend gemachten Betrages anfallen. Dabei kann dahinstehen, ob Verbringungskosten im Rahmen einer fiktiven Abrechnung zu erstatten sind, weil die vom Sachverständigen ermittelten Kosten selbst nach Abzug der Verbringungskosten höher sind als der vom Kläger geforderte Betrag. Die höheren Reparaturkosten hat der Sachverständige nachvollziehbar damit begründet, dass die Kalkulation hinsichtlich der Lackierung des Seitenteils und des Kotflügels unvollständig ist, weil der Aufwand für den Abbau der Seitenteile nicht berücksichtigt worden ist. Der Sachverständige konnte auch anhand des Schadensbildes nachvollziehen, dass die Beifahrertür auszutauschen ist. Den Feststellungen des Sachverständigen sind die Parteien nicht entgegen getreten.
Da die Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet sind, hat der Kläger Anspruch auf Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Die Anwaltskosten sind nachvollziehbar nach einem Streitwert bis 2.000,- € berechnet worden.
Die Zinsentscheidung folgt aufgrund anwaltlicher Fristsetzung zum 4.10.10 aus § 288 BGB, im Übrigen aus § 291 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 2.000,- € festgesetzt.