LG Offenburg, Az.: 2 O 96/15, Urteil vom 12.01.2016
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 11.357,30 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten Ziff.1 und seinen Haftpflichtversicherer (Beklagte Ziff. 2) Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls geltend.
Der Kläger befuhr nachts zwischen 1 und 2 Uhr am 18.10.2014 die Dr. Georg-Schaeffler-Straße in Lahr in westlicher Richtung. An der Einmündung Europastraße fuhr der wartepflichtige Beklagte Ziff.1 mit seinem bei der Beklagten Ziff. 2 haftpflichtversicherten PKW in die Dr. Georg-Schaeffler-Straße ein. Letztere ist an der Kreuzung gegenüber der Europastraße vorfahrtsberechtigt. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision beider Fahrzeuge, wodurch das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn nach links auf einen Grünstreifen abgewiesen wurde und schließlich in einem Maisfeld zum Stehen kam. Die Beklagte Ziff. 2 nahm zur Schadensregulierung bereits einige Zahlungen vor.
Der Kläger trägt vor, dass er sich der Kreuzung mit ca. 55 km/h genähert habe, woraufhin der Beklagte Ziff.1 unvermittelt in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. In der Kreuzung habe der Beklagte Ziff.1 angehalten, woraufhin der Kläger unvermittelt Gas gegeben habe, um dem Fahrzeug nach links auszuweichen. Nachdem der Beklagte Ziff.1 wiederum selbst Gas gegeben habe, sei es zum Unfall gekommen. Neben dem Totalschaden am Fahrzeug seien ihm zudem weitere Sachverständigengebühren, Abschleppkosten, An- und Abmeldekosten, Wiederbeschaffungskosten und Mietwagenkosten angefallen, die bisher nur teilweise erstattet wurden. Weiterhin seien ihm der weitere Nutzungsausfall, eine Unkostenpauschale und vorgerichtliche Anwaltskosten zu ersetzen. So sei ihm über die bereits geleisteten Zahlungen hinaus ein Betrag von insgesamt EUR 11.641,95 zu ersetzen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Vorfahrtsverletzung vorliege, so dass der Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden des Beklagten Ziff.1 spreche. Die geltend gemachten Schadenspositionen seien ihrer Höhe nach angemessen und erforderlich. Hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen sei er aktivlegitimiert; die einzelnen Forderungen seien bereits nicht abgetreten oder rückabgetreten worden.
Der Kläger beantragt: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 11.641,95 € zu bezahlen nebst Jahreszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.12.2014.
Die Beklagten beantragen Klageabweisung.
Die Beklagten tragen vor, dass der Kläger sich der Kreuzung mit einer stark überhöhten Geschwindigkeit von mindestens 113 km/h näherte. Der Beklagte Ziff.1 habe den Kläger in weiter Entfernung gesehen, so dass er davon ausging, diesen durch sein Einfahren in die Kreuzung nicht zu behindern. Aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit sei der Kläger jedoch deutlich früher als erwartet im Kreuzungsbereich aufgetaucht, woraufhin sich eine Kollision nicht mehr vermeiden ließ.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass eine Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten Ziff.1 bereits dadurch ausscheide, dass der Kläger eine Kollision durch maßvolles Abbremsen hätte vermeiden können. Weiterhin sei der Kläger weder hinsichtlich des Schadens am Fahrzeug, noch hinsichtlich der Sachverständigen-, Abschlepp- und Mietwagenkosten aktivlegitimiert, da das beschädigte Fahrzeug nicht in seinem Eigentum stehe und er die Ersatzforderungen an die Leistungserbringer abgetreten habe.
Das Gericht hat in mündlicher Verhandlung vom 15.07.2015 und 09.12.2015 Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Vernehmung der Zeugen We., G., Wa. und zwei mündliche Sachverständigengutachten durch den Sachverständigen M. K.. Für den Inhalt der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch aus §§ 7 Abs.1, 17 Abs.2, Abs.1, 18 StVG iVm. § 115 VVG.
1. Der Kläger ist hinsichtlich der geltend gemachten Schäden aktivlegitimiert. Das Gericht ist durch Vorlage des Kaufvertrags davon überzeugt, dass das Unfallfahrzeug durch den Kläger bereits im April des Jahres 2014 erworben wurde. Ebenso sind zur Überzeugung des Gerichts, sofern eine Abtretung überhaupt erfolgte, die Zessionare der Ersatzforderungen mit einer gerichtlichen Geltendmachung durch den Kläger einverstanden.
2. Der Unfall war für den Kläger nicht unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG, so dass sich eine Haftung der Beklagten nicht bereits aus dieser Norm ergibt. Eine Unabwendbarkeit ist zwar nicht erst dann gegeben, wenn der schädigende Geschehensablauf unter perfekten Bedingungen hätte vermieden werden können, sondern bereits dann, wenn bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt der Schadenseintritt ausgeblieben wäre. Hierunter ist ein im Vergleich zu § 276 BGB erheblich über der im Verkehr gebotenen Sorgfalt liegendes geistesgegenwärtiges und umsichtiges Handeln zu verstehen, mithin das Verhalten eines Idealfahrers. Beweisbelastet ist jeweils die Partei, die für sich in Anspruch nimmt, ihre Beteiligung wäre unabwendbar gewesen. Ein solcher Beweis ist dem Kläger nicht gelungen. Denn bereits nach eigener Aussage näherte der Kläger sich der Kreuzung jedenfalls nicht mit der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, sondern zumindest leicht darüber. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht sogar fest, dass der Kläger mit ganz erheblich überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist (siehe unten). Demnach liegt ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr.1 StVO vor und der Unfall war für den Kläger keinesfalls unvermeidbar, weil er bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit ohne weiteres hätte vermieden werden können.
3. Es kann dahinstehen, ob sich der Beklagte Ziff. 2 bereits wegen der überhöhten Geschwindigkeit des Klägers nicht die Betriebsgefahr des eigenen PKW entgegenhalten lassen muss und deshalb dem Kläger in Höhe dieser Betriebsgefahr haftet, weil es sich beim Unfall für ihn aufgrund der extremen Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gehandelt hat. Denn jedenfalls führt die Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge im Sinne von § 17 Abs. 2 StVG zu einer Alleinhaftung des Klägers und einem Zurücktreten der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 2. Die Haftungsquote hängt gem. § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Sie ist auf Grundlage der jeweiligen Verschuldens- bzw. Verursachungsbeiträge zu ermitteln. Dabei sind all jene Tatsachen zu berücksichtigen, die entweder unstreitig oder gem. § 286 ZPO bewiesen sind und sich in dem konkreten Schadensfall niedergeschlagen haben (BGH, NJW 2007, S. 506). Hier kommt das Gericht unter Abwägung aller Umstände zu einer vollständigen Verantwortung des Klägers selbst.
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegt zwar ein Verstoß des Beklagten Ziff.1 gegen § 8 Abs.1 S.2 Nr.1 StVO dadurch vor, dass er trotz Wartepflicht gem. Verkehrszeichen 205 in die bevorrechtigte Dr. Georg-Schaeffler-Straße einfuhr, wobei er nach eigenen Aussagen den klägerischen PKW in der Ferne erkannt hatte. Nach dem Anscheinsbeweis der schuldhaften Vorfahrtsverletzung würde die Betriebsgefahr des klägerischen PKW vollständig zurücktreten und der Beklagte Ziff.1 grundsätzlich alleine haften (Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage, StVO, § 8 Rn. 68). Den Beklagten ist aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Erschütterung des Anscheinsbeweises gelungen. Eine Erschütterung dieses Anscheinsbeweises setzt nämlich nur voraus, dass die Beklagten einen anderen Sachverhalt darlegen und beweisen, der die Beurteilung der Unfallverursachung in eine andere Richtung lenken würde (Vgl. Balzer, Urteil im Zivilprozess, 2. Aufl., Rn. 60). Hier steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger sich der Unfallstelle mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit genähert hat. Nach Ausführungen des Sachverständigen wäre es ohne die überhöhte Geschwindigkeit nicht zu der Kollision gekommen (siehe unten). Damit ist ein Sachverhalt bewiesen, der die Beurteilung der Unfallverursachung weg von einem etwaigen Vorfahrtsverstoß hin zu einer Verursachung durch die überhöhte Geschwindigkeit lenkt und ist damit der Anscheinsbeweis erschüttert.
b) Darüber hinaus haben die Beklagten auch zur Überzeugung des Gerichts ausreichende Tatsachen bewiesen, die bei der Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge zu einer Alleinhaftung des Klägers führen. Denn die Beklagten konnten zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass der Kläger sich dem Kreuzungsbereich mit mindestens 100 km/h (wahrscheinlich deutlich mehr) näherte und die an dieser Stelle erlaubte Geschwindigkeit von 50 km/h damit um 100% überschritt. Dies führt zu einer Alleinhaftung des Klägers, weil damit auch ein wartepflichtiger PKW wie der Beklagte Ziff. 2 insbesondere zur Nachtzeit nicht rechnen konnte (Vgl. dazu: Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage, StVO, § 8 Rn. 71f.). Bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit hätte der Kläger die Kollision nicht nur durch Zurücknahme des Gaspedals vermeiden können, sondern wäre vielmehr auf seiner Spur hinter dem Beklagten Ziff.1 vorbei gefahren, der die vom Kläger befahrene Spur bereits überschritten hatte. Hätte sich der Kläger nur annähernd an die zulässige Höchstgeschwindigkeit gehalten, hätte der Beklagte Ziff. 2 problemlos auf seine Spur einfahren können bevor der Kläger den Kreuzungsbereich erreicht hätte. Denn die eigentliche Kollision fand ja bereits auf der Gegenspur statt. Nach den uneingeschränkt überzeugenden Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen K. lag die Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen PKW bei mindestens 100 km/h, wobei der Sachverständige hier mit den für den Kläger günstigsten Ausgangsbedingungen gerechnet hat. Nicht anders ist es auch zu erklären, dass das klägerische Fahrzeug nach der Kollision noch eine Auslaufstrecke von mehr als 70m zunächst auf der Fahrbahn und dann im Feld zurücklegte.
c) Das Gericht ist ferner nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer Ausgangsgeschwindigkeit auf der Landstraße kurz vor der Kollision in Höhe von mindestens 100 km/h überzeugt. Denn das Gericht glaubt dem Kläger nicht, dass er vor der Kollision im Rahmen der Ausweichbewegung von einer wesentlich niedrigeren Geschwindigkeit auf die Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 100 km/h beschleunigt hat. Diese vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragene Behauptung, dass er zum Zwecke des spontanen Ausweichens den Wagen beschleunigte und nach links zog, wurde nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen. Das Gericht ist vielmehr vom Gegenteil überzeugt. Das behauptete kurzfristig eingeleitete Ausweichmanöver erscheint nach verständiger Würdigung völlig unnötig und unvernünftig, weil es hierfür in der Unfallsituation keinen Grund gab. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen hätte der Kläger das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 2 durch einfaches Verbleiben aus seiner Spur und einer leichten Zurücknahme des Gasfußes ohne Kollision passieren können. Dies hätte umso mehr gegolten, wenn der Kläger wirklich mit deutlich weniger als 100 km/h gefahren wäre. Vor diesem Hintergrund ist die erst in der mündlichen Verhandlung behauptete Beschleunigung im Rahmen der Ausweichbewegung als Schutzbehauptung zu werten, der nicht geglaubt werden kann. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass der Kläger den Beklagten Ziff.1 ebenfalls von Weitem erkannte und der falschen Einschätzung unterlag, mit unverändert überhöhter Geschwindigkeit und mit einem riskanten Manöver durch überfahren zweier Spuren links an diesem vorbeiziehen zu können. Die Analyse des Sachverständigen K. wurde durch die glaubhafte Aussage des Zeugen Wa. bestätigt. Glaubhaft und frei von Belastungstendenzen schilderte dieser in überzeugend lebhafter und widerspruchsfreier Weise das Fahrtverhalten und die „abnormale Geschwindigkeit“ des Klägers unmittelbar vor der Kollision. Zur Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen trägt wesentlich auch seine Eigenschaft als Berufskraftfahrer bei. Das Gericht ist davon überzeugt, dass dieser Geschwindigkeiten weit besser als ein durchschnittlicher Führer eines Kraftfahrzeugs einschätzen kann. Zudem hat der Zeuge G. auch bestätigt, dass das klägerische Fahrzeug tatsächlich kurz vor der Kollision ein anderes Fahrzeug überholt hat. Zudem hat dieser Zeuge auch berichtet, dass die Fahrt des klägerischen Fahrzeugs auch dazu dienen sollte, ihm dieses schnelle Auto einmal zu zeigen. Der Behauptung des Zeugen, dass es hierbei nur um den Sound des Motors gegangen sei glaubt das Gericht aber nicht. Vielmehr ist das Gericht aufgrund der Aussage des Zeugen Wa. und der Analyse des Sachverständigen anhand der objektiven Spuren davon überzeugt, dass der Kläger dem Zeugen G. die starke Motorleistung des Wagens ohne Rücksicht auf die auf dieser Straße geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen demonstrieren wollte. Es liegt daher fern, dass der Kläger nach der vom Zeugen Wa. geschilderten stark beschleunigender Kurvenfahrt seine Geschwindigkeit verringerte, als er auf die Gerade gelangte, die zur Kreuzung führt. Vielmehr spricht bei lebensnaher Würdigung der Zeugenaussagen deutlich mehr dafür, dass der Kläger nach der Kurvenfahrt noch einmal beschleunigte, als er auf die Gerade gelangte.
Der Vortrag des Klägers ist auch aus weiteren Gründen nicht glaubwürdig. Entgegen der objektiven Faktenlage trug der Kläger unverändert vor, nur 55 km/h schnell gefahren zu sein. Dies widerspricht nicht nur den Berechnungen des Sachverständigen, die alle Fakten maximal zugunsten des Klägers auslegt, sondern vielmehr auch den eigenen Äußerungen des Klägers gegenüber der Polizei (Zeuge We.) zum Unfallzeitpunkt. Bereits hier räumte er ein mit ca. 65-70 km/h unterwegs gewesen zu sein, was eine Geschwindigkeitsüberschreitung von immerhin 40 % bedeuten und ebenfalls unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Unfalls zu einer Alleinhaftung des Klägers führen würde.
4. Ein weitergehender Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 18 Abs. 1 StVG besteht nicht, da jedenfalls § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG entsprechend angewandt wird.
5. Der Vortrag des Klägervertreters im Schriftsatz vom 23.12.2015 führt zu keiner anderen Beurteilung, zumal er verspätet ist. Insbesondere ist unerheblich, ob die Beklagte Ziff. 2 außergerichtlich eine andere Haftungsquote akzeptiert hat.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 ZPO, weil der für die Beklagten wegen der Kosten zu vollstreckende Betrag unter 1.500 € liegt.