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Verkehrsunfall – Linksabbiegerkollision mit einem zum Überholen ansetzenden Kradfahrer

OLG Frankfurt, Az.: 2 U 238/13, Urteil vom 20.03.2014

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 24. September 2013 (Az. 4 O 117/12) teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.691,70 €. Schadenersatz nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 26.1.2012 sowie weitere 500,- € Schmerzensgeld und außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 212,21 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 75 % zu tragen, die Beklagten haben als Gesamtschuldner 25 % der Kosten zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit in Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger befuhr am ….2011 mit seinem Kraftrad der Marke X mit amtlichem Kennzeichen … die A-Straße in O1, Ortsteil O2-O3 in Richtung O4. Hierbei handelt es sich um eine innerörtliche Durchgangsstraße in einem Wohngebiet.

Verkehrsunfall - Linksabbiegerkollision mit einem zum Überholen ansetzenden Kradfahrer
Symbolfoto: Von Muangsatun /Shutterstock.com

In der gleichen Richtung vor dem Kläger fuhr der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) als Fahrzeughalterin geleasten und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Y mit amtlichem Kennzeichen …. Der Beklagte zu 1) wollte nach links in die Straße B einbiegen. Im Bereich der Einmündung befand sich ein quer über die Fahrbahn der A-Straße verlaufender mit Splitt bestreuter Streifen.

Der Kläger, der den Beklagten zu 1) links überholen wollte, kam im Bereich der Einmündung neben dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) zu Fall. Der Unfallhergang, insbesondere eine Berührung der Fahrzeuge, ist zwischen den Parteien im Streit. Das Motorrad des Klägers schlitterte bis auf den linken Gehweg und blieb dort liegen. Es wurde von dem Abschleppdienst H zunächst im Auftrag der Polizeibeamten sichergestellt und später zum Kläger verbracht. Hierfür wurden 420,20 € und 273,72 € berechnet.

Der Helm des Klägers wies nach dem Unfall erhebliche Schleifspuren auf, seine Kleidung wurde beschädigt.

Der bewusstlose Kläger wurde mit einem Rettungswagen in das C-Krankenhaus verbracht, wo eine Gehirnerschütterung, retrograde Amnesie und Prellungen an Armen und Beinen festgestellt wurden. Er hat keine Erinnerung an den Unfallhergang. Am ….11.2011 wurde der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen.

Das Ingenieurbüro D begutachtete den Schaden an dem Kraftrad und stellte in seinem Gutachten vom 16.11.2011 (Bl. 5 d. A.) einen Reparaturaufwand von ca. 15.500,- € bei einem Wiederbeschaffungswert von 11.500,- € und einem Restwert von 4.490,- € fest. Die Sachverständigenkosten beliefen sich auf 1.027,76 €.

Am Fahrzeug des Beklagten zu 1) entstand ein Sachschaden an Kotflügel und Felge vorne links in Höhe von ca. 500,- €.

Die unfallaufnehmenden Polizeibeamten fertigten Lichtbilder vom vorgefundenen Unfallort. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1) befand sich nicht mehr in der Position zum Unfallzeitpunkt, sondern war rechts am Straßenrand geparkt. Auf die Lichtbildmappe des Polizeipräsidiums E wird Bezug genommen.

Die Zeugin F, welche den Unfall von ihrem Wohnzimmer aus beobachtet hatte, machte gegenüber dem Polizeipräsidium E eine Aussage zum Unfallhergang. Auf den Inhalt des polizeilichen Zeugen-Fragebogens vom 29.10.2011 (Bl. 821, 82 d. A.) wird Bezug genommen. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verdachts der Gefährdung im Straßenverkehr wurde nach § 153 StPO eingestellt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom ….11.2011 (Bl. 28, 29 d. A.) verlangte der Kläger von der Beklagten zu 3) eine Haftungszusage und einen Schmerzensgeldvorschuss von 1.500,- €. Der Beklagte zu 1) habe aufgrund von Unachtsamkeit eine Kollision mit dem Kraftrad des Klägers verursacht.

Die Beklagte zu 3) lehnte mit Schreiben vom 26.1.2011 (Bl. 30 d. A.) eine Haftung auf der Grundlage der Zeugenaussage von Frau F ab. Der versicherte Y habe seine Geschwindigkeit vermindert und frühzeitig vor der Einmündung den linken Blinker gesetzt. Der Kläger habe trotzdem versucht zu überholen, als sich der Y bereits beim Abbiegen befunden habe. Der Kläger habe gebremst, als er sein Fehlverhalten erkannt habe, und sei auf dem Splittstreifen gestürzt.

Im ersten Rechtszug hat der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) habe seine Geschwindigkeit auf der rechten Fahrbahnhälfte fast bis zum Stillstand verlangsamt. Der Kläger habe davon ausgehen müssen, dass der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug stoppen wolle. Er sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h an dem Y vorbeigefahren. Als er das Fahrzeug fast vollständig passiert gehabt habe, habe der Beklagte zu 1) den Pkw nach links gezogen und sei im Bereich des linken Vorderrades mit dem Kraftrad kollidiert.

Der Kläger habe folgende Schäden an seiner Kleidung und persönlichen Gegenständen davongetragen: 812,50 € Brille, 89,96 € Handschuhe, 449,- € Jacke, 349,95 € Hose, 250,71 € Schuhe und 356,15 € Helm. Seine Brille sei beim Abnehmen des Helms beschädigt worden. Helm und Schutzkleidung erfüllten nach dem Sturz nicht mehr ihre Funktion.

Außerdem macht der Kläger den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert sowie die Abschlepp- und Sachverständigenkosten und eine Kostenpauschale von 26,- € geltend.

Der Kläger behauptet, er habe ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades erlitten. Er habe die in den Arztbriefen des C-Krankenhauses vom ….11.2011 und 20.7.2012 dokumentierten Verletzungen erlitten. Er hält ein Schmerzensgeld von 2.000,- € für angemessen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 11.065,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Gesamtbetrag seit dem 26.1.2012 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 848,83 € zu erstatten.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe in einer Entfernung von mindestens 50 m den linken Blinker gesetzt und seine Geschwindigkeit auf ca. 20 bis 30 km/h reduziert. Unmittelbar vor der Einmündung habe er sich mit einem Schulterblick vergewissert, dass sich auf der Gegenfahrspur keine Fahrzeuge von hinten genähert hätten. Als er habe abbiegen wollen, sich aber noch auf der rechten Fahrspur befand, habe er ein Bremsgeräusch gehört und gesehen, dass links neben ihm der Kläger stürzte und gegen den Y fiel. Eine Kollision habe es nicht gegeben. Der Kläger habe auf dem Splittstreifen stark abgebremst und sei dabei gestürzt.

Der Fahrzeugschaden belaufe sich auf netto 5.137,87 €, denn der abstrakt nach Gutachten abrechnende Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung nicht gezahlter Mehrwertsteuer nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Zu den Schäden an Brille, Helm und Kleidung fehle ein schlüssiger Vortrag. Im Übrigen sei insoweit ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen.

Der Kläger habe ausweislich der Unterlagen ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, nämlich eine Gehirnerschütterung erlitten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts gemäß § 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht Limburg a. d. Lahn hat die Akten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft O5 beigezogen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, und Beweis erhoben über den Unfallhergang durch Vernehmung der Zeugin F gemäß Beweisbeschluss vom 19.6.2012 (Bl. 61 d. A.) und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens gemäß ergänzendem Beweisbeschluss vom 13.11.2012 (Bl. 116 d. A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 30.10.2012 (Bl. 110 ff. d. A.) und das Gutachten des Sachverständigen G (Bl. 139 ff. d. A.) verwiesen.

Das Landgericht Limburg a. d. Lahn hat durch Urteil vom 24.9.2013 (Bl. 207 ff. d. A.) die Klage abgewiesen.

Es hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden nach §§ 7Abs. 1, 18 Abs. 1,11 Abs. 2 StVG, § 3 PflVersG. Zwar habe der Kläger durch den Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten Kraftfahrzeugs Verletzungen und Sachschäden erlitten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei hierfür jedoch ein grober Verkehrsverstoß des Klägers verantwortlich, so dass die Abwägung nach § 17 StVG dazu führe, dass der Kläger seinen Schaden selbst tragen müsse.

Die Zeugin F habe glaubhaft bekundet, dass der Beklagte zu 1) den Blinker ca. 40 bis 50 m vor der Einmündung gesetzt habe. Der Kläger selbst habe keine Erinnerungen an das Unfallgeschehen. Das unfallanalytische Gutachten vermöge die Aussage der Zeugin nicht zu erschüttern, da der Sachverständige nicht habe beurteilen können, ob und wie lange vor der Kollision der Blinker gesetzt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil, welches dem Kläger am 25.9.2013 (Bl. 214 d. A.) zugestellt worden ist, hat dieser am 24.10.2013 Berufung eingelegt (Bl. 235 d. A.), die am 11.11.2013 (Bl. 243 d. A.) begründet worden ist.

Die Berufung rügt eine Verletzung des materiellen Rechts. Nach dem Gutachten des Sachverständigen und den an den Fahrzeugen festgestellten Kollisionsstellen habe der Zusammenstoß am linken vorderen Kotflügel des Beklagten zu 1) stattgefunden. Daraus schließt der Kläger, dass der Abbiegevorgang bereits eingeleitet gewesen sei unter Verletzung der Verpflichtungen zum Schulter- und Seitenspiegelblick und zur Ankündigung der Abbiegeabsicht mittels Fahrtrichtungsanzeiger. Der Kläger sei ausweislich des Gutachtens lediglich mit einer Geschwindigkeit von 30 Km/h gefahren. Der Sachverständige habe festgestellt, dass der Unfall für den beklagten zu 1) zweifelsfrei vermeidbar gewesen sei. Die Zeugin F habe den Unfallhergang von ihrem Standpunkt aus nicht beobachten können.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 24.9.2013 abzuändern und

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 11.065,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Gesamtbetrag seit dem 26.1.2012 zu zahlen;

5. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

6. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 848,83 € zu erstatten.

Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil des Landgerichts und vertiefen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszug. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger mit seinem Kraftrad verbotswidrig entgegen § 5 Abs. 7 StVO überholt habe, obwohl die Absicht abzubiegen rechtzeitig mit Blinker angezeigt worden sei.

Die Beweiswürdigung sei im zweiten Rechtszug nicht uneingeschränkt überprüfbar. Die Zeugin habe auch plausibel und glaubhaft ausgesagt. Der Beklagte zu 1) habe vor dem Abbiegen sich mit Schulterblick vergewissert, dass sich keine Fahrzeuge von hinten auf der linken Fahrbahnseite näherten. Er sei nach § 9 Abs. 1 StVO nicht verpflichtet gewesen, während des Abbiegevorgangs immer wieder nach hinten zu schauen. Mit dem groben Fehlverhalten des Klägers habe er nicht rechnen müssen.

Die Beklagten meinen, das Unfallereignis sei für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen.

Hinsichtlich des näheren Inhalts des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 4.11.2013 (Bl. 243 ff. d. A.) und der Berufungserwiderung vom 6.12.2013 (Bl. 267 f. d. A.) verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; §§ 517, 519,520 ZPO.

In der Sache hat die Berufung nur teilweise Erfolg.

Der Kläger hat nach §§ 18Abs. 1, 11 StVG, § 3 PflVersG, § 115 VVG einen Anspruch gegen die Beklagten in Höhe einer Mitverursachungsquote von 25 %.

Das Landgericht hat zu Recht aufgrund des erhobenen Beweises und auf der Grundlage der beigezogenen Ermittlungsakte zu Recht angenommen, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an dem Unfallgeschehen trifft, weil er entgegen § 5 Abs. 7 StVO ein Fahrzeug, dass seine Absicht nach links abzubiegen durch Blinker rechtzeitig angezeigt hatte, nicht rechts, sondern links zu überholen versuchte.

In dieser Situation war es für den Kläger möglich und geboten, rechts am Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren. Dies hat der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts aus nicht nachvollziehbaren Gründen, zu denen er aufgrund unfallbedingter Amnesie auch nicht befragt werden kann, unterlassen und stattdessen in Verkennung der Verkehrslage den Versuch unternommen, das erkennbar abbiegewillige Beklagtenfahrzeug links zu überholen.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden, soweit es angenommen hat, der Beklagte zu 1) habe bereits 40 bis 50 Meter vor der Einmündung – und damit für den Kläger deutlich erkennbar – den linken Blinker gesetzt. Die Zeugin F hat dies eine knappe Woche nach dem Unfall, als ihre Erinnerung noch frisch war, bereits gleichlautend gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten ausgesagt.

Es besteht kein Anlass zur der Annahme, die unbeteiligte und mit keiner Partei verbundene Zeugin F habe ihre im Wesentlichen dem unstreitigen Unfallhergang entsprechende Schilderung des Unfalls frei erfunden, weil sie den Unfall in Wirklichkeit nicht gesehen habe. Da das von ihr mit x gekennzeichnete Fenster von der Straße aus sichtbar ist, konnte man von dort aus auch die Straße beobachten.

Den Beklagten zu 1) trifft jedoch eine Mithaftung für den Personen- und Sachschaden aus dem Unfallereignis aus 18 Abs. 1 StVG, weil er als Fahrer des Kraftfahrzeugs nicht beweisen konnte, dass ihn an dem Unfall keinerlei Verschulden trifft. Der von dem Landgericht angenommene Ausschluss jeglicher Mithaftung der Beklagten wäre nur dann berechtigt gewesen, wenn eine vollständige zweite Rückschau des Beklagten zu 1) vor dem Anfahren aus der Warteposition heraus feststellbar gewesen wäre (vgl. hierzu OLG Celle vom 5. Dezember 1984, 3 U 79/84, VersR 1986, 349). Dies ist nicht der Fall. Der Beklagte zu 1) hat vielmehr gegen die besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 3 StVO verstoßen, indem er sich beim Linksabbiegen den nachfolgenden Verkehr nicht so im Auge behalten hat, dass kein Dritter gefährdet wurde.

Der Beklagte zu 1) hätte den von hinten herannahenden Kläger bemerken und den Unfall durch Anhalten problemlos vermeiden können. Die erforderliche Sorgfalt bei der Beachtung des Fahrzeugverkehrs aus beiden Richtungen im Sinne von § 9 Abs. 3 StVO erfordert regelmäßig Umblick über die Schulter neben der Rückschau durch die Rückspiegel (vgl. Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 21. Aufl. 2011 § 9 StVO Rn. 50). Dass der Beklagte zu 1) dies befolgt hat und der Unfall dennoch geschah, ist nicht nachgewiesen. Der Beklagte zu 1) hat sich im Ermittlungsverfahren nicht geäußert, die Zeugin F hat sein Verhalten nicht beobachtet.

Entgegen der Aussage der Zeugin F, die das eigentliche Unfallgesehen – im Gegensatz zu dem bereits in der Nähe ihres Hauses gesetzten Blinker – nur aus größerer Entfernung beobachten konnte, konnte der Sachverständige G eine Berührung der beiden Fahrzeuge feststellen.

Daraus folgt, dass der Kläger nicht aufgrund einer Schreckreaktion von selbst gestürzt ist, sondern es eine Kollision der Fahrzeuge gab, die zum Sturz führte. Es ist jedoch nicht zu vermuten, dass der Kläger in ein stehendes Fahrzeug hineinfuhr. Die Wahrscheinlichkeit spricht eher dafür, dass sich der Pkw nach links in die beabsichtigte Fahrlinie des Klägers hineinbewegte.

Die Voraussetzungen eines unabwendbaren Ereignisses i.S. von § 17 Abs. 3 StVG liegen wegen des beiderseitigen Verschuldens nicht vor. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt. Vielmehr hat auch der Beklagte zu 1) schuldhaft gegen Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr verstoßen, was eine quotale Mithaftung für die Unfallfolgen nach sich zieht. Angesichts der schuldhaften Mitverursachung durch den Beklagten zu 1) konnte die aufgrund der größeren Masse erhöhte Betriebsgefahr des Pkw im Vergleich zu dem Kraftrad nicht zurücktreten.

Die Beklagte zu 2) trifft eine Mithaftung für den Personen- und Sachschaden aus dem Unfallereignis für die materiellen und immateriellen Folgen des Verkehrsunfalls aus §§ 3PflichtVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, da der Unfall auch auf einem Verschulden des berechtigten Fahrers beruht. Höhere Gewalt ist nur ein betriebsfremdes, von außen durch Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar und auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann (vgl. Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 24. Aufl. 2009, Kapitel 1 Rn. 35). Diese Voraussetzung liegt aus den unter II. 1. a) genannten Gründen nicht vor, weil der Beklagte zu 1) nicht nachweisbar die ihm mögliche äußerste Sorgfalt hat walten lassen.

Deshalb war der den Unfall schuldhaft mitverursachende Beklagte zu 1) mit einer Quote zu belegen, die dem weit überwiegenden Verschulden des Klägers und dem geringen, aber nicht völlig zurückstehenden Verschulden des Beklagten zu 1) angemessen ist. Dies rechtfertigt bei der Verletzung der zweiten Rückschaupflicht vor dem Abbiegen und einem Zusammenstoß mit einem zum Überholen ansetzenden Kradfahrer regelmäßig eine Mithaftung des Vorausfahrenden von 25 % (vgl. Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 29.03.2012, Schaden-Praxis 2012, 391- 392; Landgericht Köln, 19 S 323/76, r+s 1977, 141). Diese Quote war aufgrund der im Berufungsverfahren festgestellten Umstände des Einzelfalls auch vorliegend angemessen.

Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsanteile gemäß der §§ 5und 9 StVO führt zu einer Haftungsquote von 75 zu 25 zulasten des Klägers. Denn der Kläger hat den Schaden durch sein Fahrverhalten weit überwiegend verursacht und verschuldet.

Die Beklagten haften dem Kläger als Gesamtschuldner für die Schadensquote.

Der Kläger hat nach § 249 BGB Anspruch auf Ersatz von 25 % seines materiellen Schadens in Höhe von insgesamt 10.766,80 €, mithin auf 2.691,70 €. Der Schaden an dem Motorrad besteht aufgrund des eingetretenen wirtschaftlichen Totalschadens aus den Kosten der Wiederbeschaffung abzüglich Restwert.

Die von dem Sachverständigen ermittelten Kosten einer Wiederbeschaffung von 11.500,- € kann der Kläger in Höhe der Quote von 25 % mit den Umsatzsteueranteil beanspruchen, weil er eine Ersatzbeschaffung durchgeführt hat, § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Dies ist inzwischen unstreitig. Hiervon sind 25 % des erzielten Restwerts von 4.490,- € in Abzug zu bringen.

Hinzu kommen jeweils 25 % der unstreitigen Kosten für den Sachverständigen, die sich auf 1.027,76 € beliefen, der unstreitigen Abschleppkosten von 420,20 € und 273,72 € sowie der Pauschale von 26 €.

Der Schaden an den persönlichen Gegenständen des Klägers ist gleichfalls zu 25 % zu ersetzen. Für den eingetretenen Schaden von 1.495,77 € an der durch den Sturz beschädigten relativ neuwertigen Motorradkleidung muss der Kläger sich einen zusätzlichen Abzug „neu für alt“ von 20 % anrechnen lassen (vgl. Oberlandesgericht München, Beschluss vom 7.5.2012, Aktenzeichen 1 U 4489/11, VRR 2012, 338, Langtext bei juris). Kein weiterer Abzug ist für den Schaden an der Brille von 812,50 € gerechtfertigt.

Dem Kläger steht nach §§ 823Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 VVG ein Anspruch unter Berücksichtigung seines erheblichen Mitverschuldensanteils und der erlittenen Verletzungen auf Schmerzensgeld von 500,- € zu. Die vom Kläger vorgenommene Bemessung von 2.000,- € = 100 % als Ausgangsbasis ist nicht zu beanstanden (vgl. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 8.10.2013, Aktenzeichen I – 1 U 226/12, Schaden-Praxis 2014, 16-19). Der Kläger erlitt neben Prellungen ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades mit Bewusstlosigkeit und Gedächtnisverlust hinsichtlich des Unfallgeschehens und musste eine Woche im Krankenhaus verbringen. Das Verschulden des Beklagten zu 1) ist gering und rechtfertigt keine besondere Genugtuung durch ein höheres Schmerzensgeld. Die seit dem Unfall verstrichene Zeit liegt im normalen Bereich.

Der zuerkannte Zinsanspruch aus dem materiellen Schadenersatzanspruch ist aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Verzuges gemäß §§ 284Abs. 2, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB gerechtfertigt.

Die vorgerichtlichen Auslagen sind mit einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG aus der berechtigten Forderung zu bemessen, entsprechend mit Auslagen- und Dokumentenpauschale und Mehrwertsteuer 212,21 €.

Die Kosten des Rechtsstreits sind nach § 92 Abs. 1 ZPO den Parteien im Verhältnis ihres wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens aufzuerlegen. Zwischen 10.000,- € und 13.000,- € ist keine weitere Kostenstufe, sodass trotz der Zuvielforderung bei der Motorradkleidung die Beklagten ein Viertel und der Kläger drei Viertel der Kosten zu tragen hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708Ziffer 10, 711,713 ZPO.

Die Revision ist nicht nach § 543 ZPO zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts in dieser Sache fordern.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug beträgt 13.065,95 €.

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