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Verkehrsunfall zwischen Kraftfahrzeug und Straßenbahn

Bemessung der Haftungsanteile

LG Görlitz – Az.: 2 S 76/11 – Urteil vom 19.03.2012

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Görlitz vom 25.07.2011 (Az. 4 C 236/07) teilweise abgeändert und wie folgt klarstellend neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.889,64 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 58,72 € zu zahlen.

Die Beklagten werden daneben gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger auf den Betrag von 1.444,82 € Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2007 zu zahlen.

Daneben wird die Beklagte zu 1) verurteilt, an den Kläger auf den Betrag von weiteren 1.444,82 € Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.04.2007 zu zahlen; der Beklagte zu 2) wird verurteilt, diese Zinsen für den Zeitraum ab dem 27.11.2007 gesamtschuldnerisch neben der Beklagten zu 1) zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Auf die Widerklage werden der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte zu 1) 36,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Gerichtskosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Kläger zu 1/3, den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 2/3 auferlegt; von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger 1/3, die Beklagten tragen von denen des Klägers 2/3 als Gesamtschuldner.

Die Gerichtskosten des Rechtsstreits zweiter Instanz werden dem Kläger und der Beklagten zu 1) jeweils zu 1/4 und dem Beklagten zu 2) zu 1/2 auferlegt; die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte zu 2) zu 1/2.

Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, soweit die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.444,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2007 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 58,72 € an den Kläger verurteilt worden sind, und soweit der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung von 36,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2008 an die Beklagte zu 1) verurteilt worden sind.

Hinsichtlich der weiteren Verurteilungen ist das Urteil vorläufig vollstreckbar, kann aber jede Partei als Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung des Vollstreckungsgläubigers durch Leistung einer Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Verkehrsunfall zwischen Kraftfahrzeug und Straßenbahn
Symbolfoto: Von TadeasH/Shutterstock.com

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.889,64 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz auf Grund eines Verkehrsunfalls, der sich am 11.01.2007 gegen 16.45 Uhr auf dem Platz des 17. Juni in … ereignet hat und an dem die Drittwiderbeklagte als Fahrerin des zum Betriebsvermögen des Klägers, ihres Ehemannes, zählenden Pkw VW Sharan ( … ) und der Beklagte zu 2) als Führer des im Eigentum der Beklagten zu 1), seiner Arbeitgeberin, stehenden Straßenbahn ( … ) beteiligt waren.

Die Drittwiederbeklagte bog vom Obermarkt kommend nach rechts auf den Platz des 17. Juni, um sogleich nach links in Richtung Teichstraße / Bautzener Straße / Brunnenstraße abzubiegen, musste auf dem Platz des 17. Juni jedoch wegen entgegenkommenden Verkehrs anhalten. Dabei kam sie mit der linken Seite des Fahrzeugs auf den auf der Straße verlegten Straßenbahnschienen zum Stehen, worauf die von hinten herannahende Straßenbahn gegen das Kfz stieß. Dadurch entstand dem Kläger ein Schaden von insgesamt 4.334,46 € und weitere 374,90 € an Rechtsanwaltskosten, die für die Beklagte zu 1) wegen der Kollision erforderlichen Kosten der Reparatur ihrer Straßenbahn beziffern sich mit 108,75 €.

Der Kläger hat behauptet, die Straßenbahn sei noch ca. 100 m entfernt gewesen, als die Drittwiderbeklagte den Abbiegevorgang auf den Platz des 17. Juni begonnen habe, und sie habe sich anschließend sofort zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, sich zuvor unter Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers noch im Rückspiegel sowie mit einem Schulterblick von der Verkehrsfreiheit der Straße überzeugt. Zum Unfall sei es gekommen, weil der Beklagte zu 2) zu schnell gefahren sei.

Der Kläger hat mit der Beklagten zu 1) am 19.04.2007 zugestelltem Schriftsatz gegen sie Klage erhoben, diese Klage mit ihm am 27.11.2007 zugestelltem Schriftsatz gegen den Beklagen zu 2) erweitert. Seine ursprünglich auch gegen die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1) – die … , Berlin – gerichtete Klage hat der Kläger zurückgenommen, worauf ihm mit Beschluss vom 18.09.2008 die dieser entstandenen außergerichtlichen Kosten auferlegt worden sind.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an ihn gesamtschuldnerisch 4.334,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2007 sowie Nebenkosten in Höhe von 374,90 € zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat die Beklagte zu 1) beantragt, den Kläger und die Drittwiderbeklagte gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 108,75 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2008 zu zahlen.

Der Kläger und die Widerbeklagte haben beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten haben vorgetragen, die Drittwiderbeklagte sei in einem Abstand von lediglich ca. 30 m vor der von dem Beklagten zu 2) mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 28 km/h geführten Straßenbahn auf den Platz des 17. Juni aufgefahren und habe den Pkw in so kurzem Abstand vor der Straßenbahn auf den Schienen zum Stehen gebracht, dass ihm ein Anhalten unmöglich, der Unfall für ihn damit unvermeidlich gewesen sei.

Sie haben gemeint, ein klägerischer Anspruch gegen die Beklagte zu 1) aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB scheitere daran, dass diese sich gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpiert habe, und haben dazu behauptet, dass der Beklagte zu 2) seit dem 16.09.1991 als Straßenbahnfahrer beschäftigt sei und regelmäßig an den alle drei Monate stattfindenden innerbetrieblichen theoretischen und alle 6 Monate erfolgenden praktischen Schulungen zur Vermeidung von Gefahrensituationen und Unfällen teilgenommen habe. Die theoretische Schulung befasse sich u. a. mit neuen Verkehrsregeln und Auswertungen von Unfällen, im praktischen Teil beobachte ein Kontrolleur der Betriebsaufsicht, der sich dem Fahrer nicht zu erkennen gebe, dessen Fahrweise, insbesondere die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften. Anschließend erfolge eine Auswertung durch den Betriebsleiter.

Das Amtsgericht hat durch Einholung zweier schriftlicher Sachverständigengutachten und Vernehmung eines Sachverständigen und mehrerer, u. a. eines von den Beklagten zu den zur Exkulpation der Beklagten zu 1) nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB vorgetragenen Behauptungen benannten Zeugen Beweis erhoben.

Mit Urteil vom 25.07.2011 sind die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 2.889,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2007 und vorgerichtlicher Anwaltskosten von 316,18 € an den Kläger verurteilt worden. Die Beklagte zu 1) ist darüber hinaus zur Zahlung weiterer 1.444,82 € nebst vorstehender Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten von 58,72 € verurteilt worden. Der Kläger und die Drittwiderbeklagte wurden auf die Widerklage dazu verurteilt, an die Beklagte zu 1) 36,25 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen sind die Klage und die Widerklage abgewiesen worden.

Zur Begründung wird in dem Urteil ausgeführt, dass der Haftungsanteil des Klägers und der Drittwiderbeklagten nach §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, § 1 Abs. 1 HPflG auf 1/3, der der Beklagten auf 2/3 anzusetzen sei. Unter ausführlicher Schilderung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der Angaben des Sachverständigen … zu Schlussfolgerungen aus den bis zum Unfall aufgezeichneten – verwertbaren – Betriebsdaten, insbesondere der Geschwindigkeit und dem Einsatz der Bremseinrichtung, des elektronischen Fahrtenschreibers der Straßenbahn gelangte das Amtsgericht zu der Überzeugung, dass der Unfall für keinen Unfallbeteiligten unvermeidbar gewesen sei. Die Drittwiderbeklagte habe von der Einfahrt auf den Platz des 17. Juni bis zum Anhalteort 30 – 35 m zurückgelegt, der Beklagte zu 2) habe die Geschwindigkeit der von ihm geführten Straßenbahn bei Annäherung an die spätere Unfallstelle binnen 16 – 19 Sekunden recht kontinuierlich von ca. 28 km/h auf 15 km/h reduziert. Das klägerische Fahrzeug sei danach für einen Zeitraum von 9 – 11 Sekunden für den Beklagten zu 2) erkennbar gewesen. Die Drittwiderbeklagte habe danach gegen den Vorrang der Schienenbahn im Längsverkehr gemäß § 2 Abs. 3 StVO verstoßen, der Beklagte zu 2) spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Straßenbahn noch 15 m vom klägerischen Fahrzeug entfernt gewesen sei, einen die Kollision vermeidenden, eine Strecke von 11,10 m benötigenden Bremsvorgang einleiten können. Des Weiteren habe die erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn berücksichtigt werden müssen.

Die Beklagte zu 1) hafte dem Kläger darüber hinaus gemäß §§ 823, 831 BGB auf den vollen Schaden, mithin auf weitere (4.334,46 € ./. 2.889,64 € =) 1.444,82 €. Es sei der Beklagten zu 1) nicht gelungen, sich zu exkulpieren, da der von ihr benannte Zeuge … nicht habe bestätigen können, dass der Beklagte zu 2) an den Schulungen teilgenommen habe und seine Fahrweise geprüft worden sei. Eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Drittwiderbeklagten könne insoweit nicht erfolgen, weil § 9 StVG auf deliktische Ansprüche weder direkt noch analog anwendbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihnen am 28.07.2011 zugestellte Urteil richten sich die Beklagten mit ihrer am 01.08.2011 eingelegten Berufung, welche sie nach mit Verfügung vom 27.09.2011 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich zum 12.10.2011 mittels eines an diesem Tage eingegangenen Schriftsatzes begründet haben.

Die Beklagten greifen das amtsgerichtliche Urteil lediglich insoweit an, als sie darin zur Zahlung von mehr als 1.444,82 € nebst Zinsen und 58,72 € vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt worden sind.

Sie meinen unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages nunmehr, die auf sie entfallende Haftungsquote sei mit 1/3 zu bemessen. Die Beklagten halten an ihrer vorstehenden Rechtsauffassung zur Exkulpation gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB fest und legen zum Beweis der Teilnahme des Beklagten zu 2) an den theoretischen Schulungen und der Überprüfung seiner Fahrweise Schulungsprotokolle und Beobachtungsbögen vor. Sie rügen, das Amtsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt, indem es nicht darauf hingewiesen habe, dass der Beweis der für eine Exkulpation erforderlichen Umstände nach der Vernehmung des Zeugen … nicht erbracht sei.

Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern, soweit sie zur Zahlung über den Betrag in Höhe von 1.444,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2007 und vorgerichtlicher Anwaltskosten von 58,72 € hinaus verurteilt worden sind, und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und den sonstigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat für die Beklagte zu 1) teilweise, für den Beklagten zu 2) lediglich in geringem Umfang Erfolg.

1.

Dem Kläger steht dem Grunde nach aus § 1 Abs. 1 HPflG gegen die Beklagte zu 1) und aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten zu 2) ein Anspruch auf Schadensersatz zu, der – wie vom Amtsgericht angenommen – wegen des dem Kläger zuzurechnenden Mitverschuldens der Drittwiderbeklagten nach § 9 StVG, § 254 BGB mit 2/3 des Gesamtschadens, also 2.889,64 € zu bemessen ist.

Ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) besteht, da eine dem § 18 StVG vergleichbare Norm im Haftpflichtgesetz nicht besteht, allein aus § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Palandt-Sprau, 71. Aufl., § 823, Rn. 232). Indes ist auch bei der Bemessung dieses Anspruchs die – erhöhte – Betriebsgefahr der von dem Beklagten zu 2) geführten Straßenbahn zu berücksichtigen, da sein Verschulden i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB festgestellt wurde (BGH NJW 2010, 927 (928, Rn. 12)).

Die entsprechende Bemessung erfolgte unter ausführlicher und überzeugender Würdigung der umfänglichen Beweiserhebungen durch das Amtsgericht. Bei der Bemessung der auf Grundlage seiner – fehlerfreien – Tatsachenfeststellungen erfolgten Verursachungsanteile für die Schadensentstehung ist das Amtsgericht durch § 287 ZPO besonders freigestellt (vgl. BGH NJW 2010, 927 (928, Rn. 11); BGH VersR 1981, 354 (356)). Rechtsfehler lässt die angegriffene Entscheidung vor diesem Hintergrund nicht erkennen. Insbesondere hat das Amtsgericht auch die – wohl mit 20 % zu bewertende (vgl. LG Köln, Urt. v. 20.01.2010, Az. 20 O 455/07, juris Rn. ) – erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn berücksichtigt.

Die angegriffene Entscheidung beruht danach insoweit weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

2.

Ein darüber hinaus gehender Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB gegen die Beklagte zu 1) auf Zahlung weiterer 1.444,82 € besteht indes nicht.

a)

Diesem dem Kläger erstinstanzlich zugesprochenen Anspruch können im Berufungsverfahren indes nicht mehr die Protokolle zu Schulungen und Beobachtungsbögen entgegengehalten werden, denn diese Verteidigungsmittel können gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht mehr zugelassen werden.

Sie betreffen keinen Gesichtspunkt, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Vielmehr hat das Amtsgericht ausweislich des dazu erstellten Protokolls bereits im Rahmen der – ersten – mündlichen Verhandlung vom 18.09.2008 umfänglich auf das Exkulpationserfordernis hingewiesen.

Es liegt insoweit auch kein Verfahrensmangel i. S. d. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO, insbesondere keine – von den Beklagten gerügte – Verletzung der aus § 139 ZPO folgenden Hinweispflicht vor. Dass die Beklagten offensichtlich – irrtümlich – davon ausgingen, die von ihnen zum Beweis angebotene und vom Amtsgericht wahrgenommene Vernehmung des Zeugen … würde zu einer entsprechenden Überzeugungsbildung des Gerichts ausreichen, begründet einen solchen Verfahrensverstoß keinesfalls. Insbesondere ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in keiner Weise überraschend, sieht sich das Berufungsgericht deshalb auch nicht veranlasst, die Vernehmung dieses Zeugen zu wiederholen.

Danach beruht es auf Nachlässigkeit der Beklagten zu 1), dass sie die hier gegenständlichen Urkunden nicht im ersten Rechtszug eingereicht hat (§ 531 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ZPO). In diesem Zusammenhang muss auch festgehalten werden, dass der Kläger die Beklagten bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens aufgefordert hat, die nunmehr vorgelegten Belege beizubringen.

b)

Der dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) dem Grunde nach – neben § 1 Abs. 1 HPflG – aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB zustehende Schadensersatzanspruch ist in seiner Höhe aber in analoger Anwendung des – dem § 9 StVG inhaltlich weitestgehend entsprechenden – § 4 HPflG um seinen vorstehenden Haftungsanteil – 1/3 – zu beschränken.

Eine direkte Anwendbarkeit des § 254 BGB scheitert hier daran, dass nicht den Kläger als Geschädigten, sondern die Drittwiderbeklagte als Fahrerin seines Fahrzeugs ein Mitverschulden trifft. Nach in Rechtsprechung und Literatur vorherrschender Auffassung gilt die über § 254 BGB hinausgehende, auch ein Mitverschulden des die tatsächliche Gewalt über die geschädigte Sache ausübenden Dritten – hier der Drittwiderbeklagten – erfassende Bestimmung des § 9 StVG ausschließlich für den Bereich der Haftung nach dem StVG (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 07.08.2002, Az. 14 U 67/02; Hentschel/König/Dauer-König, 41. Aufl., § 9 StVG, Rn. 2, 24 m. w. N.) – und die des § 4 HPflG wohl folgerichtig ausschließlich für den des HPflG. Eine analoge Anwendung auf das Deliktsrecht wird danach abgelehnt. Diese Auffassung findet ihre Stütze nach hiesigem Verständnis in dem Urteil des BGH vom 30.03.1965, Az. VI ZR 257/63 (NJW 1965, 1273) und den darin genannten Argumenten, auf welche Bezug genommen wird. In dem diesem Urteil des BGH zugrundeliegenden Fall ging es indes um die Anwendung der Ausgleichsregel des § 9 StVG auf § 823 Abs. 1 BGB, nicht auf § 831 Abs. 1 S. 1 BGB. Der BGH hat ausgeführt, dass § 18 StVG – vermutete Verschuldenshaftung, auf die § 9 StVG Anwendung findet (Hentschel/König/Dauer-König, § 9 StVG, Rn. 2) – und § 823 BGB – Verschuldenshaftung – sich „nur im Erfordernis (des) Nachweises (des Verschuldens) unterscheiden“, und dass die nach § 18 StVG schon bei vermutetem Verschulden eingreifende Haftung „gegenüber den allgemeinen Bestimmungen in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt (ist). Darin liegt ein gewollter Ausgleich dafür, dass sie schon bei vermutetem Verschulden eintritt“ (BGH NJW 1965, 1723 (1724)). Diese Begründung zur mangelnden analogen Anwendbarkeit des § 9 StVG – und damit des ihm gleichenden § 4 HPflG – auf Verpflichtungen aus § 823 BGB kann nach hiesigem Dafürhalten nicht uneingeschränkt auf § 831 Abs. 1 S. 1 BGB übertragen werden, da § 831 Abs. 1 S. 1 BGB – wie auch § 18 StVG, aber anders als § 823 BGB – eine vermutete Verschuldenshaftung normiert. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB enthält zu Gunsten des Geschädigten die beiden Vermutungen, dass der Geschäftsherr seine Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat, und dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem dem Verletzten zugefügten Schaden besteht (Palandt-Sprau, § 831, Rn. 1).

Die Vergleichbarkeit der Interessenlagen erscheint vor diesem Hintergrund unzweifelhaft. Unterbliebe die entsprechende Anwendung des § 4 HPflG – das soll hier deutlich gemacht werden -, dann müsste die Beklagte zu 1) in ihrer Eigenschaft als Geschäftsherrin dem Kläger auch dann – fast, vgl. § 10 HPflG – uneingeschränkt für dessen Sachschaden haften, wenn der streitgegenständliche Unfall allein von der Drittwiderbeklagten zu vertreten wäre, zumal § 831 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich kein Verschulden des Verrichtungsgehilfen – hier des Beklagten zu 2) -, sondern nur eine – vermutete – objektiv widerrechtliche Schadenszufügung durch ihn voraussetzt (vgl. dazu Palandt-Sprau, § 831, Rn. 8). Dieses Ergebnis ist nach hiesigem Dafürhalten unbillig, vielleicht mit dem Gesetz, aber schwerlich mit Recht vereinbar.

Dass „gewisse Billigkeitsgründe für eine gleichlautende Regelung sprechen mögen“, schließt auch der BGH in seinem vorstehenden Urteil nicht aus; anderes mag für die Fallkonstellation gelten, dass ein Unfallbeteiligter nach § 823 Abs. 1 BGB für den Schaden eines im Eigentum eines Leasinggebers stehenden Fahrzeuges haftet, im Innenverhältnis zum Leasingnehmer und Fahrer dieses Fahrzeuges indes gemäß § 426 Abs. 1 BGB Regress in Höhe dessen Mitverschuldensanteils nehmen kann (vgl. BGH NJW 2007, 3120 (3121, Rn. 13)). Der BGH hält aber gleichzeitig fest, dass keine planwidrige Lücke vorliegt und es dem „Gesetzgeber überlassen bleiben“ muss, eine solche Regelung zu normieren (BGH NJW 1965, 1273 (1274); vgl. auch BGH NJW 2007, 3120 (3121, Rn. 12 f)). Da es dem Gesetzgeber indes ausweislich der entsprechenden Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 30.03.1965 darum ging, mit § 9 StVG einen „teilweisen Ausgleich für die verschärfte Haftung“ zu schaffen (BGH a. a. O.), wird hier die Auffassung vertreten, dass § 9 StVG – hier: § 4 HPflG – zwar vermeintlich nicht zur Beschränkung der Haftung aus § 823 BGB, doch aber wegen jedenfalls insoweit vorliegender planwidriger Regelungslücke zu der des § 831 Abs. 1 S. 1 BGB entsprechend herangezogen werden kann.

Es werden überdies sogar – planwidrige Regelungslücken voraussetzende – analoge Anwendungen haftungsprivilegierender – deliktsrechtsfremder – Normen auf das Deliktsrecht vorgenommen. So wird der Haftungsmaßstab des § 599 BGB auch auf das Deliktsrecht übertragen (Palandt-Weidenkaff, § 599, Rn. 3). Auch Ansprüche aus § 346 BGB und aus § 823 BGB können in Anspruchskonkurrenz zueinander stehen; die Haftungsprivilegierung des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB, § 277 BGB wird aber auf Ansprüche des Geschädigten, der sein Eigentum unter Eigentumsvorbehalt an den Schädiger verkauft hat, zugunsten des Schädigers auf § 823 BGB angewandt, wenn dieser die Schädigung vor Kenntnis vom gesetzlichen Rücktrittsgrund vornimmt.

3.

Dem Kläger sind – insoweit klarstellend auch in zweiter Instanz – Anwaltskosten in Höhe von 58,72 € zuzusprechen, weil die Beklagten das amtsgerichtliche Urteil insoweit nicht angegriffen haben. Im Übrigen steht dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung der ihm unstreitig in Höhe von insgesamt 374,90 € entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten – aus § 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1, § 425 BGB – zu, da er keine einen Verzug der Beklagten begründenden Tatsachen, insbesondere nicht vorgetragen hat, sie vor Erhebung der Klage zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert zu haben.

III.

Die Beklagten haben das amtsgerichtliche Urteil auch nicht angegriffen, soweit dem Kläger darin auf die Hauptforderung von 1.444,82 € Zinsen für den Zeitraum ab dem 19.02.2007 zugesprochen worden sind.

Im Übrigen bestehen die dem Kläger hier zugesprochenen Zinsansprüche – auf einen weiteren Betrag von 1.444,82 € – aus §§ 291, 425 BGB jeweils für den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Klage.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten der ersten Instanz beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO; der durch die – teilweise erfolgreiche – Widerklage der Beklagten zu 1) gegebene rechnerische Minimalunterschied hinsichtlich der Kostentragungspflicht der beiden Beklagten und ihrer Erstattungsansprüche gegen den Kläger führt insoweit zu keinen Ergebnisabweichungen. Da bereits mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 18.09.2008 die der ursprünglichen Beklagten … Berlin entstandenen außergerichtlichen Kosten dem Kläger nach dessen insoweit erfolgter Rücknahme der Klage auferlegt worden waren, kann das amtsgerichtliche Urteil keinen Bestand haben, soweit darin der Beklagten zu 1) 2/3 dieser außergerichtlichen Kosten auferlegt wurden.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der zweiten Instanz beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

V.

Die Revision war zuzulassen, da die Vereinbarkeit der hier angenommenen analogen Anwendbarkeit des § 4 HPflG auf § 831 Abs. 1 S. 1 BGB mit der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur zweifelhaft erscheint, so dass die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

 

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